bis morgens um halb drei gelesen…
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. obwohl, erst war ich mir ja gar nicht sicher, ob ich das wirklich lesen will: soviel Venedig, Venedig und Venedig… so viele Namen, Orte, Begebenheiten, Opern; Aufzählungen, die mit der Handlung nichts zu tun haben und dann diese Art von personalem Erzählstil: er sagte, Michael Aldrian dachte, erinnerte er sich, erklärte er… – gerade so, als hätte es eine Moderne nie gegeben.
Dabei hatte mich der Inhalt auf dem Klappentext schon neugierig gemacht: „Michael Aldrian, der lange bei der Oper als Souffleur gearbeitet hat, reist im Winter nach Venedig, um seinen dort lebenden Bruder zu besuchen. Der aber scheint mitsamt seiner Frau spurlos verschwunden zu sein. Aldrian, der eigentlich vorhatte, einen Reiseführer über Venedig zu schreiben, macht sich in der vom Hochwasser heimgesuchten Stadt auf die Suche. Aber irgendjemand will ihn offenbar davon abhalten. Nacheinander erhält er eine Morddrohung, ein Paket mit Falschgeld und eines, in dem sich eine abgeschnittene Hand befindet. Unaufhaltsam und fast ohne sein Zutun wird er in eine Geschichte hineingezogen, in der er immer mehr vom Zuschauer zum Täter wird. Wie in einem Albtraum bewegt er sich durch die Stadt und erledigt fast nebenbei mehrere Menschen, die sich ihm in den Weg stellen. Ist er selbst wahnsinnig geworden oder ist es die Welt?“ Und der Name des Autors weckte Lektüreerinnerungen, die mich eher an Sebald denn an Simmel denken ließen. Hatte ich die Archive des Schweigens nicht verschlungen und, ja, geliebt?
Es war halb zehn, das Abendessen, mit den zu Besuch weilenden Eltern, überstanden, zu früh zum Schlafen und also nahm ich den neuen Roman von Gerhard Roth wieder zur Hand. Statt Souffleur immer Maestro Suggeritore, ja, gut, spielt schließlich in Venedig, und dieser Name, Aldrian, nie den Vornamen, obwohl der im Titel vorkommt, immer Aldrian, nie Michael – an was sollte uns das gemahnen? Vielleicht Andrian, Leopold Andrian den Schriftsteller im Umfeld von Hofmannsthal und George? Ich war auf Seite 78 und auf dem Nachtkasten ein hoher Stapel Bücher, die gelesen werden wollten. Ich gab mir einen Ruck, aus alter Liebe (Archive des Schweigens und so.s.o.), bis Seite 150 würde ich ihm geben. Außerdem ein Opernsouffleur mit Hörsturz, erinnerte mich an die Angst jedes Lesers vor dem Erblinden, das gefiel mir. Also weiter, drei weitere Osterias, wieder einmal über den berühmten Fischmarkt, zum x-ten Mal über die Rialtobrücke und irgendwo ist es dann passiert: ich las und las und las. Um ein Uhr nochmal in den Garten für eine Zigarette, natürlich mit Buch, weiter lesend. Es wurde spannender als viele Krimis, die ich in letzte Zeit gelesen hatte: die Mafia kommt ins Spiel, Verfolgungsjagden, Friedhöfe, die Irrenanstalt, treppauf und treppab durch Archive (eine von Roths Spezialitäten) und Gassen, gestohlene Handys und Simkarten – jetzt hatte es mich gepackt, ich vergaß die Bezüge und Anspielung zu suchen und plötzlich waren sie da, oder sie erschienen mir nicht mehr wichtig, die Frage nach dem Stil hatte sich aufgelöst, nur weiter und weiter, wie geht es aus?
Um halb drei war ich fertig, atemlos und kann nur sagen: LESEN!
Die Irrfahrt die Michael Aldrian ist der erste Band einer geplanten Venedig-Trilogie – sagt der Klappentext. Ich freue mich auf die Fortsetzung!
P.S. Aldrian ist ein in der Steiermark sehr häufig vorkommender Familienname – also nichts mit Hofmannsthal…
Achso: Gerhard Roth hatte gerade seinen 75. Geburtstag und sein Verlag, S. Fischer, hat aus diesem Anlass Landläufiger Tod (der 3. Teil von den Archive des Schweigens) neu und erstmals komplett aufgelegt. Das liegt jetzt auch auf meinem Nachtkasten – aber 976 Seiten, bitte wann?