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Unter der Wahrnehmungsgrenze?

Offener Brief an Herrn Mag. Johannes Schreiber, Bezirksparteiobmann der ÖVP Währing

Wien, 30. Mai 2019

Sehr geehrter Herr Mag. Schreiber,

Ich glaube, wir kennen uns nicht persönlich, wenn ich mich daher vorstellen darf: Mein Name ist Petra Hartlieb, ich bin Inhaberin der Buchhandlung in unserem Bezirk, ein Unternehmen, das ich zusammen mit meinem Mann seit fünfzehn Jahren mit über zehn MitarbeiterInnen sehr erfolgreich betreibe.
Seit drei Jahren kuratiere ich das LITERATUR.FEST anlässlich des Währinger Kunstfestes und wie Sie hoffentlich wissen, mache ich das, ebenso wie Aurelia Staub für Theater und Friedl Preisl für Musik, selbstverständlich unentgeltlich.
Nachdem ich Sie leider noch nie auf einer der Veranstaltungen gesehen habe, möchte ich Ihnen kurz das Konzept erklären: An beiden Tagen des Wochenendes sind in unterschiedlichen gastronomischen Betrieben des Bezirks jeweils drei, manchmal sogar vier Lesungen. Dabei versuche ich eine Mischung zwischen Publikumsmagneten und weniger bekannten Jungautorinnen, einerseits um die Häuser zu füllen, aber auch um es den Menschen zu ermöglichen, jüngere, unbekanntere Autorinnen zu entdecken.
Dieses Jahr hatten wir hochkarätige Autorinnen, wie etwa Vea Kaiser und Doris Knecht (beide in den österreichischen Bestsellerlisten vertreten), aber auch die über achtzigjährige, ehemalige Volkstheaterdirektorin Emmy Werner mit ihrer Autobiographie.

Nun zu Ihrer Beobachtung, dass das Kunstfest unter der Wahrnehmbarkeitsschwelle abläuft: Doris Knecht etwa hatte ihre Lesung am Samstagnachmittag im vollbesetzten Café Schopenhauer, Vea Kaiser hat selbstverständlich das Café Stadtbahn gefüllt. Und gut, dass Sie nicht zu meiner Lesung mit Michael Kerbler ins Café Schmidhansl gekommen sind, Sie hätten leider keinen Platz mehr bekommen. Und das an einem Wochenende. an dem eigentlich alle nur auf den Auftritt des ehemaligen Kanzlers gewartet haben.
Attwenger beim Musikfest haben das Café Stadtbahn an die Grenzen gebracht und auch schade, dass Sie die begeisterten Besucherinnen des Schubertparks nicht sehen konnten, die an mehreren Nachmittagen ergriffen der Klaviermusik von Marino Fermenti lauschten oder mit ihm musizierten. Viele sind aus anderen Bezirken angereist, um sich dieses Erlebnis nicht entgehen zu lassen.
Auch ich bin eine großer Anhängerin der Hochkultur, gehe regelmäßig in den Musikverein oder ins Konzerthaus und habe seit vielen Jahren ein Burgtheaterabo. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man Kultur auch niederschwellig vermitteln muss, und zwar durch Gratiseintritt und auch dadurch, dass wir sie da stattfinden lassen, wo die Menschen wohnen, ihrem Bezirk, ihrem Grätzel.
Über „Kunstprojekte“ oder „Kunst im öffentlichen Raum“ brauchen wir beide wohl nicht diskutieren, da würden wir auf keinen grünen Zweig kommen, aber was haben Sie gegen Theater, Literatur und Musik?
Sie wollten mit Ihrer Aussage eine Kritik an der Bezirksvorstehung tätigen, haben aber gleichzeitig alle beleidigt, die unter großem Einsatz rein ehrenamtlich dieses Festival organisieren, die KünstlerInnen, die dabei auftreten und im Grunde auch die vielen begeisterten Besucherinnen.
Lieber Herr Schreiber, ich muss natürlich akzeptieren, dass die ÖVP im Bezirk gegen Bäume, verbreiterte Gehsteige und Tempo 30 polemisiert, aber was eigentlich haben Sie gegen Kunst und Kultur?

Vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr bei einer der Veranstaltungen, ich werde mich bemühen, wieder ein attraktives Programm zusammenzustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Hartlieb