My Voice
Israel/Palästina in 64 Stunden
2022
Kennen Sie das Willy-Brandt-Center? Nein? Das macht nichts, ich kannte es bis vor kurzem auch nicht. Willy Brandt kenne ich natürlich, mein Mann ist schließlich Deutscher und mein Bruno Kreisky war sein Willy Brandt.
Als ich vor einigen Wochen ein Mail des Willy-Brandt-Center Jerusalem bekam, ob ich Interesse hätte, bei einem Schreibprogramm für junge PalästinenserInnen mitzuwirken, das in Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Tel Aviv durchgeführt wird, las ich die Einladung durch, googelte das Institut und überlegte kurz: Es wäre alles ein wenig kurzfristig, ich hätte so viel zu tun und mir vorgenommen, öfter mal nein zu sagen. Außerdem war die Sicherheitslage in Israel schon mal besser, nach dem Mord an der palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh und weiteren Auseinandersetzungen anlässlich ihres Begräbnisses in Jerusalem, gab es immer wieder heftige Unruhen. Nach einem kurzen Telefonat mit der Projektleiterin Petra Klose sagte ich zu.
Jerusalem! Wer lässt es sich schon entgehen, eine Reise nach Jerusalem zu machen, mit der Aussicht, „echte“ Menschen kennenzulernen? Mit StudentInnen, KünstlerInnen und BuchhändlerInnen zu sprechen, nicht einfach nur wie eine Touristin durch die Altstadt zu laufen und sich von Souvenirverkäufern übers Ohr schlagen zu lassen.
Natürlich sagte ich zu.
Wir sitzen im ersten Stock eines Cafés in Bethlehem, durch die großen Fenster blickt man auf eine belebte Straße. Wir sind ein Gruppe wild zusammengewürfelter Menschen: Zwei Österreicherinnen mit dem Namen Petra (was zu großer Belustigung führt), drei junge Palästinenserinnen, die sich für das Schreibprogramm des Österreichischen Kulturforums und des Willy-Brandt-Centers „My Voice“ beworben hatten, die zwei Künstler Mahdi und Lina, und Nimala, die so vielseitig ist, dass ich gar nicht weiß, über was ich zuerst mit ihr reden soll.
Mein Blick fällt auf die Straße, unten zieht eine koreanischen Reisegruppe vorbei, ihr Anführer trägt ein großes Kreuz vor sich her, sie gehen in Richtung Geburtskirche, die man am Ende der Straße erkennen kann. Durch die dünnen Glasscheiben dringt die Stimme des Muezzins, wir reden gegen die Popmusik an, die aus den Lautsprechern dröhnt und essen dabei typisch arabisches Frühstück.
Ursprünglich wären es sieben StudentInnen gewesen, die Veranstaltung war an der Universität von Bethlehem geplant. Aufgrund der politischen Situation, der Empörung und Betroffenheit über die Ermordung der bekannten und beliebten Journalistin Shireen Abu Akleh, werden die Veranstaltungen bestreikt und das gilt auch für die Einladung des Willy-Brandt-Centers. Schließlich ist das Institut dafür bekannt, dass man keine Seite ausschließt und sowohl mit Israelis als auch mit Palästinensern zusammenarbeitet. Das wird nicht immer gerne gesehen, und zwar von keiner der beiden Seiten.
Die andere Petra, Petra Klose, die Leiterin des Social Art Programs des Centers, meine Gastgeberin und Reiseleiterin, hat das Problem geschickt gelöst, schließlich hat sie jahrelange Erfahrung mit heiklen Situationen: Wie holst du möglichst viele ins Boot, ohne dich für eine Seite zu entscheiden? Sie lädt via WhatsApp zu einem informellen Frühstück, so ist es keine offizielle Veranstaltung der Universität. Man trifft sich im Kaffeehaus, plaudert zwanglos mit der Autorin aus Österreich, nichts daran ist politisch. Diplomatie ist der zweite Vorname von Petra Klose.
Einer der Studenten erzählt, dass ihn das Gedicht „The Hollow Men“ von T.S. Eliot zum Schreiben gebracht hat, wir reden über Schreibblockaden, Gedichte und Kurzgeschichten und warum manche Bücher übersetzt werden und viele nicht.
Im Gegensatz zu mir sprechen alle Teilnehmerinnen perfektes Englisch, Mahdi soll das Projekt begleiten, wir diskutieren über Buchcover und Illustrationen, die StudentInnen sind höflich zurückhaltend, stellen vorsichtig kluge Fragen.
Und obwohl ich natürlich weiß, dass eine Grenze in Form einer Mauer rund um die Westbank läuft, und auch, dass es strikte Trennungen zwischen den beiden Gruppen gibt, wird es an diesem Tisch im Kaffeehaus plötzlich greifbar und konkret: Während ich mich in meinem europäischen Schriftstellerinnenleben zwischen Frankfurter und Leipziger Buchmesse entscheiden kann, mal schnell zu meinem Verlag nach Köln fahre und schon Lesereisen durch Italien und Spanien gemacht habe, sitzen hier junge Menschen, die keine permission für Jerusalem haben, und das ist keine zwanzig Kilometer entfernt. Sie können sich nicht einfach ein Flugticket kaufen, mit ihrem Pass winken und irgendwo hinfliegen, auch wenn sie ihren Traum verwirklichen, ein Buch schreiben und auch veröffentlichen.
Wir tauschen unsere Instagram-Konten und dann überzeugt mich Mahdi davon, die Geburtskirche zu besuchen, wenn ich schon in Bethlehem sei, wäre das Pflicht, meint er Wir gehen also gemeinsam – zwei katholisch sozialisierte, aber ziemlich atheistische Österreicherinnen, mit einem muslimischen, aber auch nicht wirklich gläubigen, jungen Künstler – zwängen sich durch den engen Türspalt, der bewusst nicht vergrößert wird, obwohl Millionen Menschen diesen Ort besuchen. In gebückter Demutshaltung soll man hier reingehen, bekomme ich erklärt.
Mit den Bildern der Krippe, die wir jedes Jahr ins Schaufenster der Buchhandlung stellen, hat das nicht viel zu tun, aber was immer vor 2000 Jahren an diesem Ort passierte – ein bisschen magisch ist es hier allemal.
Im Hotel, einem wunderschönen schottischen Kloster, das in ein Gästehaus umgebaut wurde, chatte ich mit diversen FreundInnen und der Familie in Österreich. Alle machen sich ständig Sorgen, ich erzähle meinem Mann nicht, dass auf der Seite des Außenministeriums für die Westbank die Reisewarnstufe 5 gilt. Und jetzt fällt es mir auch auf: Meine österreichischen Kontakte wollen wissen, wie es in Israel ist und die syrischen Freundinnen interessieren sich für meine Eindrücke von Palästina. Wollen Fotos, die Mama meines syrischen Patenkindes bestellt Vorschulhefte auf Arabisch und im Vorfeld hat unsere Mitarbeiterin Amneh mit mir geduldig die Aussprache von „Ana ismi Petra“ und „Ana men alnamsa“ geübt. Ich kann zu den palästinensischen StudentInnen schließlich schlecht „Yalla Habibi!“ sagen.
Und nun sehe auch ich dieses Land aus unterschiedlichen Perspektiven, beim Frühstück im Hotel fängt es schon an: Grüße ich die netten Kellner mit Shalom oder mit Marhaba? Sprechen sie arabisch oder hebräisch? Wäre es ein Faux pas wenn ich die falsche Sprache verwende?
Bei einem Besuch im Willy-Brandt-Center lerne ich die Mitarbeiterinnen kennen, auch hier werden alle Sprachen gesprochen, im Zimmer der palästinensischen Finanzmanagerin hängt ein überlebensgroßes Porträt des deutschen Ex-Kanzlers, im Treppenhaus eine Ausstellung über den polnisch jüdischen Karikaturisten Kirszenbaum. Das Haus befindet sind auf der sogenannten „Green Line“, der Waffenstillstandslinie von 1948, das schafft die Möglichkeit, dass sowohl VertreterInnen der Palästinenser als auch der Israelis den Ort besuchen können. Nichts ist hier grün, lediglich der dicke Filzstift, mit dem die Linie damals gezogen worden ist, war grün, die Häuser, die auf der Landkarte unter diesem Strich waren, sind quasi Niemandsland.
Mit der neuen Leiterin für die politische Abteilung sitzen wir auf der Terrasse, die goldene Kuppel der Grabeskirche glänzt uns entgegen, Kaffee ist aus, wir trinken Wasser. Sie hat raspelkurze Haare, Piercings und Tatoos und ihre schwarzen Jeans sind zerrissen. Die junge Frau ist ein beruhigender Anblick: wenn jetzt politische Leiterinnen so aussehen können, könnte die Welt vielleicht doch mal ein besserer Ort werden. Petra und Hanna diskutieren vor dieser Wahnsinns-Kulisse, dass sie wieder mal auf Unverständnis stoßen mit ihrer Kritik, eine Veranstaltung nicht rein männlich zu besetzen. Also doch noch nichts mit dem besseren Ort?
Im Auto erzählt mir die andere Petra, dass sie manchmal ganz froh ist, im Institut, „nur“ für die Kultur verantwortlich zu sein, damit ist sie nicht ganz im Fokus der großen Politik. Doch in diesem Land grenzüberschreitende Kulturprojekte zu verwirklichen, bedarf so viel an Knowhow, Diplomatie und Flexibilität, dass ich mir Petra Klose auch ohne Probleme als UNO-Generalsekretärin vorstellen kann.
Während ich bei Lesungen in der Buchhandlung Sorgen habe, ob es die Autorin rechtzeitig vom Bahnhof schafft, oder ob genügend Weißwein eingekühlt ist, hat Petra Klose richtige Probleme: Erhalten die Künstler aus der Westbank ihr Permit von den israelischen Behörden, um für die Vorstellung nach Jerusalem zu kommen? Wird die Hamas unser Jazz-Konzert in Gaza ohne Probleme über die Bühne gehen lassen?
Mahdi will uns unbedingt seine Heimatstadt Ramallah zeigen, also planen wir einen Ausflug für den nächsten Tag.
Wir brauchen für die fünfundzwanzig Kilometer von Jerusalem nach Ramallah zweieinhalb Stunden. Denn nachdem es in der Nacht Unruhen im Qalandya-Flüchtlingscamp gab, nehmen wir nicht den naheliegenden Checkpoint mit dem selben Namen, sondern machen einen Umweg. Niemand regt sich hier über so etwas auf, weder Petra, die ihren Empfang bei der italienischen Vertretung in Ramallah verpasst, noch Mahdi, den wir besuchen wollen und der nun einfach zweieinhalb Stunden im Café auf uns wartet. „No problem, I wait for you“ schreibt er auf Whatsapp
Dann besichtigen wir das neue Gebäude der Qattan-Foundation, es ist ein gewaltiger, moderner Betonbau hoch über der Stadt, hier oben kann man sich nicht vorstellen, dass unter einem eine arabische Stadt mit Verkehrshölle, Läden und lärmenden Menschen tobt. Eine Terrasse mit bunten Sonnenschirmen, ein Café, eine großzügige Bibliothek, der riesige Ausstellungsraum durch den uns Mahdi führt und uns die Installationen der sieben KünstlerInnen erklärt, ein Multimedia-Vortragsraum. Hier gibt es Kurse, Konzerte und Vorträge, aber auch Kinder kommen hierher um ihre Hausaufgaben zu machen.
Zurück nach Jerusalem geht es dann schneller, der „schwierige“ Checkpoint ist wieder offen, ich halte ein wenig die Luft an, als der Soldat sein umgehängtes Maschinengewehr nach hinten schiebt, sich vorbeugt, uns mustert, die Pässe gründlich studiert und uns nach einem Blick in den leeren Kofferraum ein „Nice having meet you“ mit auf den Weg gibt.
Der Ausklang dann im Österreichischen Hospiz an der Via Dolorosa. Ich begrüße den Rektor, Markus Bugnyar, mit den Worten: „Ah, das muss der Chef sein“, als er in schwarzer Soutane die Treppen zum Garten runtersteigt, aber er scheint es mir nicht übel zu nehmen, es gibt nach der Veranstaltung weiße Spritzer ohne Ende. Der Pater oder Priester oder halt eben der Chef erzählt Anekdoten und relativ unkatholische Witze. Kurz habe ich vergessen, dass ich mitten in der Altstadt von Jerusalem sitze.
Am nächsten Tag bei der Abreise hat mich die Realität wieder, drei Stunden dauert der Sicherheitscheck am Flughafen, in sämtlichen Warteschlangen bin ich umzingelt von jüdischen Männer, die lesend langsam weiter rücken, während ihre erschöpft aussehenden Frauen versuchen, die vielen Kinder zu bändigen und sich mit dem Handgepäck abmühen. Ich werde von einer jungen Soldatin penibel nach meinem Aufenthalt befragt, mit wem ich Kontakt hatte und erzähle nichts von Ramallah. Die Fotos mit den Graffitis an der Mauer und den palästinensischen Fahnen habe ich vorsorglich vom Handy gelöscht.
Mittwoch um zwei Uhr früh bin ich wieder in Wien, am Donnerstag um zehn stehe ich der wundervollen Buchhandlung. Ich habe das Gefühl, ich war nicht vier Tage weg, sondern zwei Wochen – so voller Impressionen bin ich. Und ich bin definitiv mit dem Jerusalem-Fieber infiziert, ich werde bald wiederkommen. Es gibt noch so viele Geschichten, die ich nicht erzählt habe, wie etwa die der 83jährigen Nonne, die Bach auf der Orgel spielt „Go to hell“ aus dem Autofenster ruft. Oder von Udi, dem ehemaligen Chefkoch, der nun Psychotherapeut ist, und die nächtlichen Hunde-Gassirunden mit Apfelstrudel und Pasteten in kleinen Tupperdosen versorgt.
Meine Touristinnenpflicht habe ich erfüllt, ich habe gesehen wo Jesus geboren und gestorben ist, habe mich von einem Souvenirverkäufer übers Ohr hauen lassen und mich in der Altstadt von Jerusalem verlaufen. Wenn ich wieder komme, fange ich also nicht bei Null an.
https://willybrandtcenter.org/de/
http://qattanfoundation.org/en
https://www.scotsguesthouse.com/