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Ich hatte einen Traum…

Juni 2019

Irgendwann im Winter 2015 hatte ich einen Traum. Ich war in der Pfarre St. Gertrud zu einem Nachbarschaftsessen geladen. Gekocht hatten drei syrische Familien, die Tische bogen sich, Kinder aller Sprache und vieler Hautfarben wuselten durch den Gemeindesaal und als ich die Tür öffnete, traute ich meinen Augen nicht. Der Saal war berstend voll, lange Tischreihen von vielen Menschen besetzt. Das Erstaunliche aber war, dass es so viele verschiedene Leute waren, die meisten von ihnen erkannte ich als KundInnen der Buchhandlung wieder. Alt und jung, weiblich und männlich, alternativ und konservativ, KirchengeherInnen und solche, die mit Religion nichts am Hut haben. Sie alle saßen friedlich beisammen, genossen das arabische Essen, schaukelten Babys mit exotischen Vornamen am Schoss und unterhielten sich angeregt.
Wow, dachte ich damals, wie wunderbar ist das denn! Mit wie vielen Leuten ich damals geredet habe, die ich zuvor lediglich als KundInnen begrüßt hatte, wie angenehm die Stimmung war – vorsichtiges aber wertschätzendes Beäugen einer fremden Kultur, das Genießen ungewohnter Speisen, ein fröhliches Miteinander. Und damals hatte ich einen Traum, nämlich den, dass unser Land sich weiterentwickeln würde, dass wir hier im Kleinen etwas schaffen, was in Österreich nicht selbstverständlich ist. Und die Hoffnung, dass es weiter geht. Dass es solche Treffen regelmäßig geben wird und dass wir alle davon profitieren.
Leider ist unser Land einen anderen Weg gegangen. Zumindest das offizielle Land. Die neuen Menschen, die bei uns Zuflucht fanden, sind immer mehr zu Sündenböcken gemacht geworden, für alle Probleme, die wir hier haben. Und ich wage zu bezweifeln, dass die Probleme durch die sogenannten „Flüchtlinge“ mehr geworden sind.
Dabei sind viele Menschen, die ich kenne, diesen Weg des Miteinanders weitergegangen, der Unterschied ist nur, dass wir uns als Minderheit fühlen, denn anscheinend fürchtet sich die Mehrheit jetzt vor arabischem Essen, vor Kopftüchern, vor fremdaussehenden, schwarzhaarigen Männern, vor „Problemkindern“, die nicht richtig deutsch sprechen. Ich möchte sie nicht mehr missen, die vielen neuen Freunde und Freundinnen, die teilweise zu einem Teil meiner Familie geworden sind. Die einen unglaublichen Weg zurückgelegt haben, eine neue Sprache gelernt haben, die jeden Tag versuchen, sich unserer Kultur anzupassen ohne dabei ihre eigene aufzugeben. Die ihre Studien nachgeholt haben, sich schwierigen Herausforderungen stellen und trotzdem keine andere Wahl haben, als hierzubleiben, obwohl sie alle inzwischen gut genug deutsch sprechen, um zu verstehen, dass sie hier nicht von allen willkommen sind. Die in der U-Bahn das Gesicht senken, weil sie Angst haben, von jemandem angepöbelt zu werden, die in ihren Wohnungen immer einen gepackten Koffer neben der Tür stehen haben, weil sie wissen, wie schnell es gehen kann, dass man fliehen muss. Wie sehr ich mich dafür schäme, wenn wir darüber sprechen!
Meine Freundin Suad aus Somalia hat gestern eine Rede gehalten und sie hat mir erlaubt, sie hier zu veröffentlichen. Wenn Suad und ich uns treffen, reden wir nicht über Politik, zumindest nicht über negative. Wir reden nicht über ihre bewegte Flucht, nicht über das, was sie mit ihren noch nicht mal dreissig Jahren schon alles durchmachen musste. Wir gehen spazieren, ins Kino, essen zusammen, lachen sehr viel, einmal waren wir zusammen in Salzburg und auch schon beim Bundespräsidenten. Und ich könnte noch viele solche Geschichten erzählen, Geschichten von unglaublichen Menschen, die mein Leben bereichern. Diese hier ist erst der Anfang.
Ich bin sehr stolz, dass Suad meine Freundin ist.

 

 

Suads Rede zum Weltflüchtlingstag:

Guten Abend.

Vielen Dank an das KAICIID-Dialogzentrums für die Einladung. Es ist eine große Ehre für mich, heute Abend hier zu sprechen.
Mein Name ist Suad Mohamed. Ich bin Apothekerin, Menschenrechtsaktivistin, Beraterin beim Österreichischen Roten Kreuz und Dolmetscherin in der Diakonie.
Ich spreche sechs Sprachen, habe in vielen verschiedenen Ländern gelebt und viele verschiedene Menschen getroffen. Ich habe eine Menge Erfahrungen gemacht, und all das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Es hat meine Identität definiert,
Leider haben die Menschen in dieser Zeit begonnen, mich als Flüchtling zu identifizieren. Es ist, als hätte ich noch nie zuvor existiert. Es ist, als ob Migration mein ganzer Wert als Person ist. Aber ein Flüchtling zu sein, ist nicht das, was mich ausmacht. Es war für kurze Zeit einfach ein Status, ein kleiner Teil meiner Geschichte.
Meine Familie floh aus Somalia nach Saudi-Arabien wegen des Bürgerkriegs. Dort lernte ich meine zweite Sprache, Arabisch. Ich habe dort auch meine High School abgeschlossen.
Aufgrund einiger Probleme sind wir nach Syrien umgezogen. Ich habe mich dort um ein Stipendium an einer Universität beworben, aber es nicht bekommen. Ich komme aus einer bürgerlichen Familie, und Bildung war für uns die oberste Priorität, besonders für Mutter. Da sie ihre eigene Ausbildung nicht fortsetzen konnte, kämpfte sie für mich, um meine zu beenden, vor allem, was die finanzielle Situation betraf.
Danach bewarb ich mich für Stipendien an vielen Universitäten auf der ganzen Welt und wurde an der University of Karachi in Pakistan angenommen, um Pharmazie zu studieren. Also ließ ich meine Familie in Syrien zurück und ging als 18-jährige Jugendliche allein dorthin. Meine nächsten drei Sprachen habe ich in Pakistan gelernt: Urdu, Hindi und Englisch.
Das Leben in Pakistan war aufgrund der verschiedenen Sprachen, der Kultur, des Gesellschaftssystems und der Tatsache, dass ich ein Mädchen war, das alleine lebt, sehr schwierig. Meine Familie, besonders meine Mutter, die so hart gearbeitet hat, um mich finanziell und emotional zu unterstützen, sowie die guten Menschen, die mich mit ihrer Liebe und Unterstützung umgaben, haben mich immer motiviert.
Als ich meinen Bachelor abgeschlossen hatte, begann der Krieg in Syrien, so dass ich nicht mehr zurückkehren konnte. Bis heute ist meine Familie noch immer in Syrien gefangen.
Ich ging nach Somalia, aber dort war es für mich als Frau zu gefährlich, also floh ich nach Europa. Hier begann ich ein neues und sichereres Leben, aber natürlich stellten sich neue Hindernisse: Wieder eine neue Sprache, eine neue Kultur und neue Herausforderungen. Aber ich habe mich all diesen Herausforderungen gestellt, indem ich hart gearbeitet habe.
Meine ersten zwei Monate verbrachte ich in einem Flüchtlingslager. Ich wurde depressiv, da ich nichts tun durfte. Aber meine Mutter sagte mir, ich solle die Tatsache nutzen, dass ich viele Sprachen spreche, um Arbeit zu finden, also bewarb ich mich für viele Jobs. Ich wurde mehrmals abgelehnt, bis ich meine erste offizielle ehrenamtliche Tätigkeit beim Österreichischen Roten Kreuz, der Diakonie und anderen Organisationen erhielt. Ich arbeitete für fünf dieser Organisationen, bis ich in Österreich meinen Rechtsstatus als Flüchtling erhielt.
Glücklicherweise wurde mir sofort ein Job bei den gleichen Unternehmen angeboten. Die ehrenamtliche und freiwillige Arbeit hat dazu beigetragen, dass ich hier bestens integriert bin, die vielen erstaunlichen österreichischen Menschen, die ich kennengelernt habe, und die österreichischen Menschen, mit denen ich zusammenlebe.
Wie Sie sehen können, habe ich zwar einen Flüchtlingshintergrund, aber meine Identität ist viel komplexer. Abschließend möchte ich sagen, wie wichtig die Unterstützung der Aufnahmegesellschaft für den Neuankömmling ist. Niemand kann sich integrieren, wenn nicht beide Seiten zusammenarbeiten, um die Barrieren zwischen ihnen zu überwinden und Brücken der Liebe, des Respekts und der gegenseitigen Annahme als Mensch zu bauen.
Danke, dass ich dir heute meine Geschichte erzählen durfte. Abschließend möchte ich Nelson Mandela zitieren:.Wir können die Welt verändern und sie zu einem besseren Ort machen. Es liegt in deinen Händen, etwas zu bewegen.“
Ich danke dir.

Suad Mohamed