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Flüsternde Fragmente

Ein Leitsatz dieses hier anzuzeigenden – und man kann jetzt schon sagen – sehr schönen Buches könnte lauten: »[…] die Sprache der Liebenden ist ein Flüstern […]«. Auf Seite 46 steht dieser Satz, und er deutet vielleicht an, warum es sehr herausfordernd – oder gar kaum möglich – ist, philosophisch ÜBER die Liebe zu schreiben, zumal in einem Buch, in dessen Titel die Liebe gleich zweimal vorkommt. Mehr dazu später. In der Einleitung steht noch ein Satz, der wichtig ist, eine These: »Freiheit und Liebe schließen sich aus.« (23) Sie ist Trawny wichtig genug, um sie kursiv hervorzuheben. Der Satz ist keine These, die sozusagen zu beweisen wäre, denn der Autor ist sich der Schwierigkeiten, über Liebe zu schreiben, durchaus bewusst, also die Liebe quasi als »Gegenstand« zu behandeln. In einer kurzen historischen Skizze zeigt er an dieser Stelle auf, wie sehr das als Fortschritt sich feiernde europäische »autonome Subjekt«, das sich zu Selbstbestimmung und Freiheit aufgeschwungen hat, in einer unauflöslichen Spannung mit der »Liebeszusage an den Anderen« (ebd.) steht, also mit einer Bindung. Diese Spannung grundiert die Reflexionen dieses Buches, und sie dürfte auch wohl eines der Motive dafür sein, dass Trawny die literarische Form der Meditation gewählt hat; sie hat eher etwas Eröffnendes, Zeitigendes, als etwas Abschließendes. Das Buch enthält 56 kurze, zum Teil fragmentarische Reflexionen, die keinerlei systematischer Logik folgen.

Ein zum Mitdenken einladendes Buch

Das Stichwort »Fragment« bedarf einer Präzisierung. Die Kurzkapitel sind natürlich nicht unfertig, sondern vielmehr so geschrieben, dass sie jeweils eine Einladung an den/die Leser/Leserin darstellen, mit- und weiterzudenken. Und da Trawnys Reflexionen in sehr gut verständlicher Sprache verfasst sind, lässt man sich liebend gerne darauf ein. Zudem erwähnt der Autor immer wieder zwei andere, sehr bekannte Bücher über die Liebe, nämlich Eva Illouz’ »Warum Liebe weh tut« und die »Fragmente einer Sprache der Liebe« von Roland Barthes. Bei Barthes findet übrigens einer der letzten bekannten Versuche statt, das vielgestaltige Phänomen Liebe in ein System zu bringen: Er ordnet die fragmentarischen Einträge (die wie bei Trawny Meditationen sind) wie in einem Lexikon alphabetisch. Und schließlich bleibt noch zu sagen, dass das »Historische Wörterbuch der Philosophie« von Ritter/Gründer explizit schreibt, dass man Liebe als philosophischen Begriff nicht systematisieren kann, weil durch die Vielzahl der Bezeichnungen Wortgeschichte und Begriffsgeschichte weitgehend auseinandertreten (vgl. Bd. 5, Sp. 290).

Ausreichend Gründe also, Meditationen in lockerer Folge zu schreiben. Das tut Trawny, und das ergibt einen Text, dessen Kleinkapitel sich weit verzweigen und in ihren mannigfachen Bezügen ein Netz bilden. Besonders eindrucksvoll sind jene Passagen, in denen der Autor sich als fundierter und umsichtiger Interpret jener Werke der Kunst (Literatur, Film, Musik) erweist, in denen Liebe quasi die Hauptrolle spielt: So spannen beispielsweise die Kapitel »Antigone«, »Phaedra« und »Othello« (Seiten 60, 184 und 213; auch 239 zur Fantasy-Figur des Hulk) das Tragödienthema auf, Pendants dazu sind die Komödienkapitel »Lysistrata« und »Manhattan« (Seiten 74, 242). Besonders gelungen sind die feinsinnigen Analysen in den Kapiteln »Love-Songs« (85; von den Beatles über Elis Regina und Tom Jobim bis zu Freddie Mercury) und »Ronja und Birk« (135). Nebenbei: Das m.E. Highlight des Buches neben »Liebe und Ehe« (131–134) ist eines der Schlusskapitel, »Liebeszeiten« (234–238), das eine wunderbare Lektüre der Philemon-und-Baucis-Geschichte Ovids enthält, die die Lebens-Zeit als zur Liebes-Zeit (vgl. 236) gewordene beschreibt. Dieses Kapitel hilft enorm, Trawnys »Philosophie der Liebe« von ihrem Ende her auszulegen und die im folgenden zu skizzierende und zu empfehlende Weise des Lesens dieses Buchs zu verstehen.

›Der Liebe Liebe zur Weisheit‹

Man kann nämlich »Philosophie der Liebe« nicht nur linear, sondern auch quer lesen, ähnlich wie Barthes’ »Fragmente«. Fürs lineare Lesen gibt Trawny in der Einleitung – deren genaue Lektüre hier nachdrücklich empfohlen werden soll – allerdings einen feinsinnigen Hinweis, den er freilich nicht direkt benennt. Im Titel »Philosophie der Liebe« ist nämlich nicht zur zugleich Liebe als Untersuchungs»gegenstand« enthalten, sondern, als genitivus subjectivus ist es auch die Liebe selbst, die etwas tut: Sie liebt die Weisheit – ›Der Liebe Liebe zur Weisheit‹. Liebe liebt die Weisheit, das ist der Ariadnefaden, den Trawny hier auslegt. Die Weisheit, die hier gemeint ist, ist eine besondere, weil sie, gerade was Liebe angeht, nicht von der eigenen Erfahrung abstrahieren kann: »Jeder, der über Liebe spricht, und schreibt, spricht über sich. Anders gesagt: Ich spreche und schreibe aus Liebe über die Liebe.« (24) »aus« ist hier kursiv hervorgehoben, um den Aspekt des »aus etwas heraus« zu betonen

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. So kommt es, dass es, jedenfalls in der europäisch-westlichen Kulturgeschichte, so viele dichterische, filmische, musikalische und andere Kundgaben gibt, die diesen Balanceakt zwischen dem subjektiven Empfinden von und der objektiven Darstellung der Liebe versuchen. Eine Fundgrube, in der sich Peter Trawny offensichtlich sehr gut auskennt, wie seine hermeneutisch-phänomenologischen Analysen entsprechender Werke beweisen.

Im Erklären (besser: er-klären) solcher Werke gelingt es Trawny deutlichzumachen, was für eine prekäre Sache es ist, zwischen dem gewissen, also: mir gewissen Subjektiven und dem kaum möglichen Objektiven hin- und hergerissen zu sein. »Vertrautheit, die in eine seltsame Fremdheit umschlagen kann, ohne uns zu befremden. In diesen intimsten Minuten oder Stunden unseres Lebens gibt es eine magische Choreographie, die kein pornographisches Bild jemals einfangen kann. Schon wahr: So nahe ich Dir komme, so tief ich in Dir bin, ich kann nicht fühlen, was Du fühlst.« (72f.) Der Mensch kann eben nicht nicht fühlen. Die vier anderen Sinne kann man quasi ›ausschalten‹. Und dann das: Das Fühlen des geliebten Anderen nicht fühlen zu können. Der Satz »Ich liebe dich« (Barthes nennt ihn den »Liebesseufzer«) ist Trawny zufolge Bekenntnis – immer wieder erwähnt er das – und Handlung zugleich; »beinahe Handlung«, denn »[…] der oder die ihn Sagende [übernimmt] eine Verantwortung« (80). Sprechen und Handeln fallen in diesem Satz zusammen, »[s]prachlose Liebe gibt es nicht« (81), sagt Trawny.

»Leben ist gewissermaßen gar nichts anderes als – Lieben.« (160) – In verschiedenen Formulierungen zieht sich dieser Satz durch das Buch, und auch wer einige der von Trawny besprochenen Romane, Filme, Musikstücke nicht kennt oder vielleicht eine andere Menung darüber hat, wird dem zustimmen müssen, denn man hat ja hoffentlich in Liebessachen so seine/ihre Erfahrungen gemacht. So auch der Autor, der sie immer wieder dezent einfließen lässt. Es ist also nicht so, dass hier eine ›abgehobene‹ Attitüde vorliegt, die kein fundamentum in re hat, sondern es gibt natürlich auch Reflexionen über Ehe, Erotik, Sexualität, Streit, Kinderliebe, Freundes- und Feindesliebe, Eifersucht und so weiter. Das Kapitel »Ist Liebe Privatsache?« (168–171) beendet Peter Trawny mit diesem Satz: »Ich plädiere dafür, dass wir lernen, unser Herz auszuschütten; es wird nichts verlieren außer vielleicht seine Bitterkeit.« – Das ist einer von vielen Momenten, in denen die Meditationen den oben genannten fragmentarischen Charakter haben, denn das gibt der Leserin und dem Leser Grund und Anlass, weiter darüber nachzudenken. Lässt sich etwas Schöneres über ein Sachbuch, ein Philosophiebuch sagen?

Deine alternde Hand

Die eingangs erwähnten Schwierigkeiten beim philosophierenden Schreiben über die Liebe verschwinden, wenn man erzählt, wenn man nicht distanziert und abgehoben über dieses Gefühl schreibt. Denn wer schreibt, lebt. Wer liebt, lebt. Der erzählende Philosoph Peter Trawny leibt und lebt und liebt und schreibt übers Leiben, Leben und Lieben. Am Ende dieser Besprechung, die vorbehaltlos den Kauf dieser »Philosopie der Liebe« empfiehlt, soll ein Absatz stehen, der zu den schönsten Passagen dieses großartigen Texts zählt. Peter Trawny schreibt auf Seite 134, in der Mitte seines Buchs: »Und die Liebe ist vielleicht nichts anderes als mit- und füreinander gelebte Zeit. In ihr werden Krisen wahrscheinlich nicht ›gemeistert‹, aber doch als Geschichte dieser Liebe anerkannt. Erst so entsteht eine Gestalt im Leben, die ihm Würde gibt. Es ist gewiss flüchtig und das Flüchtige keineswegs ein Schlechtes. Aber die vertraute Schönheit Deiner alternden Hand auf meiner ist unvergleichlich.«

 

Martin Ross

 

Im Text erwähnte Werke

Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe (Übers.: Hans-Horst Henschen), Suhrkamp: Frankfurt am Main 1984 (dt. EA; frz. 1977)

Eva Illouz: Warum Liebe weh tut (Übers.: Michael Adrian). Eine soziologische Erklärung. Suhrkamp: Berlin 2011

Ovid, Metamorphosen Lateinisch/Deutsch (Übers.: Michael von Albrecht), Reclam: Stuttgart 1994 (= UB 1360); Philemon und Baucis, Buch VIII, Verse 611–724

Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie in 13 Bänden. (1971–2007), Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2019

Peter Trawny, kleine Pubikationsauswahl:

– Denkbarer Holocaust. Die politische Ethik Hannah Arendts, Königshausen & Neumann: Würzburg 2005 (vergriffen)

– Irrnisfuge, Matthes und Seitz: Berlin 2014

– Martin Heidegger. Eine kritische Einführung, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2016 (= Rote Reihe 82)

Im Verlag Vittorio Klostermann liegen auch mehrere Editionen Peter Trawnys im Rahmen der Martin-Heidegger-Gesamtausgabe vor, u.a. die »Schwarzen Hefte«. An seiner Universität, der Bergischen Universität Wuppertal, leitet er das 2012 von ihm gegründete Martin-Heidegger-Institut.