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Auf der Mauer, auf der Lauer …

Oktober 2017

Eigentlich muss ich ein Buch abgeben. Nächste Woche. Eigentlich hab´ ich gar keine Zeit, Blogbeiträge zu schreiben. Aber es brennt mir unter den Nägeln, weil ich Angst habe, dass ab dem 15. Oktober nichts mehr so sein wird, wie ich es gerne hätte. Nicht, dass ich alles so super finde in Österreich, da gibt es so vieles, was angeprangert gehört und was man dringend reformieren muss. Und dennoch habe ich Angst, das die angestrebte Veränderung in eine Richtung läuft, die ich nicht unterstützen kann.

Wenn eine Partei in ihrem Wahlprogramm stehen hat, dass man nicht will, dass Flüchtlinge sich integrieren, weil sie eh wieder weggehen, dann halte ich das für dumm und geradezu gefährlich. Auch, wenn viele es wollen, das Wieder-Weggehen, es wird einfach nicht passieren. Nicht in absehbarer Zeit. Gerade hat mir meine syrische Freundin weinend von ihrer Familie erzählt. Ihre alten Eltern und ihre Geschwister schlafen inzwischen auf den Feldern, weil ihr Dorf von Amerikaner, Russen und Syrern bombadiert wird. Wenn sie auf die Strasse gehen, haben sie nicht nur Angst vor den Bomben, sondern auch, dass der IS sie einzieht. Meine Freundin und ihr Mann werden sicher nicht ihr Baby einpacken und nach Syrien zurückgehen, sie haben nicht einmal Kontakt zu ihren Familien.

Er arbeitet inzwischen für einen großen Konzern als Lehrling, wohlgemerkt, obwohl er ausgebildeter Lebensmittelchemiker ist. Sie lernt jeden Tag fünf Stunden für ihre Apothekerprüfung  in meinem Büro. Sie sprechen inzwischen so gut deutsch, dass sie mit mir über Politik diskutieren und mit ihrer kleinen Tochter.Auf der Mauer, auf der Lauer“ singen.

Oder meine Angestellte, die Mathematikprofessorin ist und bei uns im Hinterzimmer Bücher verpackt. Und manchmal, wenn sie ein Mathematiklösungsheft in die Finger kriegt, dann muss sie raus gehen und weinen, weil sie ihren Job so vermisst. Ihr zehnjähriger Sohn hat übrigens lauter Einser im Zeugnis und nächste Woche suchen wir für ihn ein Gymnasium aus.

Bei uns gibt es inzwischen zu jeder Mitarbeiterbesprechung arabisches Essen, dass sich der Tisch biegt und ich bin in ihrem Telefonverzeichnis als.Khala Petra“ eingespeichert, Khala ist arabisch und heißt.Tante“. Ich versuche die kleine L.  jede Woche einmal von der Kinderkrippe abzuholen, schließlich muss sie noch viel mehr Kinderlieder lernen. Beim Babyschwimen sind wir auf der Warteliste.

Ich weiß, dass es nicht immer einfach ist, mit den fremden Kulturen. Ich weiß, dass viele Angst haben, vor verrückten Islamisten und ich hätte auch lieber, dass meine Freundinnen kein Kopftuch tragen. Aber ich weiß auch, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist und dass uns Angst und Abschottung nicht hilft. Ich habe vor zwei Jahren begonnen zu helfen, weil mir die große Masse an fremden Menschen Unbehagen bereitet hat. Deswegen bin ich – trotz vieler Arbeit – auf den Bahnhof gegangen, habe in Notschlafquartieren mitgeholfen und den Kontakt zu den fremden Menschen gesucht. Ich habe das nur zum Teil aus Hilfsbereitschaft gemacht, ein wichtiger Antrieb war auch mein Bedürfnis, die gesichtslose Masse zu verstehen.

Was ich bekommen habe, sind ein paar neue Freunde, die meine Welt vergrößern, ein süßes Patenkind und wunderbares Essen. Und ich will nicht, dass diese Menschen, die inzwischen ein selbstverständlicher Teil meines Lebens geworden sind, an den Rand gedrängt werden und als Schmarotzer und Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert werden. Sie arbeiten hart und verlangen wenig und hatten einfach das Pech, zur falschen Zeit im falschen Land zu leben.