Was hat Julian Barnes mit dem Papagei von Gustave Flaubert zu tun?
Vor genau dreißig Jahren im September 1987 bekam ich vom damaligen Haffmans-Vertreter, Günther Domnick, ein Buch in die Hand gedrückt: Lesen Sie das mal! sagte er. Das Buch, Julian Barnes, Flauberts Papagei war ein wunderbar schöner Band in Kleinoktav , Leinen gebunden, fadengeheftet, mit Lesebändchen, der Umschlag Cremeweiß mit einer Zeichnung von Volker Kriegel: Ein Papagei auf dem Kopf von Gustave Flaubert.
Haffmans Bücher waren damals so: schön gestaltet, aufwendige Herstellung – eben so, wie Bücher sein sollten.
Im Roman von JB fährt der Witwer Geoffrey Braithwaite nach Frankreich, um sich auf die Spuren von Gustave Flaubert zu begeben. In Rouen stößt er in einem Museum auf einen ausgestopften Papagei, der Flaubert als Vorbild für den Papagei in der Erzählung ein schlichtes Herz gedient haben soll. In einem zweiten Museum in Croisset jedoch steht ein weiterer Papagei, von dem das selbe behauptet wird. Welcher ist nun der richtige?
Flauberts Papagei was das erste auf deutsch publizierte Buch von Julian Barnes, dem viele – zuletzt: der Lärm der Zeit – folgen sollten. Der Roman ist Literaturgeschichte, Anekdotensammlung, Reisebericht und philosophisches Vexierspiel und liest sich heute genauso spannend, unterhaltend und lehrreich wie vor dreißig Jahren. Und er macht neugierig auf Gustav Flaubert.
Von Flaubert hatte ich gehört, ohne je eine Zeile von ihm gelesen zu haben – das 19. Jahrhundert insgesamt war für mich damals eine Terra incognita, abgesehn von Fontane, Storm (als Schullektüre) und Dostojewski. Aber Geoffrey Braithwaite hatte mich infiziert, also erstand ich von meinem kargen Lehrlingsgehalt die Taschenbuchausgabe (detebe) der drei Erzählungen und begann zu lesen. Aber was war das denn? Ein schlichtes Herz: eine Dienstmagd, fromm und bescheiden, die über sechzig Jahre in der französischen Provinz im gleichen Haushalt arbeitet, die Dienstherrin überlebt und letztendlich den ausgestopften Papagei, den sie wie die Dienstherrin zuvor zu Tode gepflegt hatte, mit dem heiligen Geist verwechselt und stirbt. Die zweite Erzählung über den Heiligen Julian den Gastfreien und schließlich die dritte über Herodias. Hat mich das damals interessiert? Oder gar beeindruckt? Ich weiß es nicht mehr, später las ich dann Jules & Henry, November und Madame Bovary (mehrmals). Der Papagei aber war mir immer in Erinnerung geblieben.
Vor ein paar Wochen nun ist im Hanser Verlag, der mit bewundernswerter Beharrlichkeit seit Jahren Neuübersetzungen großer Werke der Weltliteratur herausbringt, die drei Erzählungen unter dem Titel drei Geschichten neu übersetzt von Elisabeth Edl erschienen. Und jetzt bei der Relektüre war ich absolut fasziniert von diesen scheinbar so nebensächlcihen Geschichten (- was interessieren mich Heilige? Herodias?) von der Gewalt dieser Sätze, die einfach und klar und ganz unmittelbar wirken.
In Übersetzung von Elisabeth Edl ist bei Hanser vor ein paar Jahren schon Madame Bovary erschienen, sie war damit in der Währinger Straße zu Gast, um über die Arbeit als Übersetzerin zu erzählen – ein unvergesslicher Abend.
Flaubert gilt als der Erneuerer des Romans, als Wortfetischist und als Dogmatiker was die Kongruenz von Wort/Stil und Inhalt angeht. In ihrem spannenden und Kenntnisreichen Nachwort berichtet Elisabeth Edl, daß Flaubert seine Texte geschrien hätte, am Fenster stehend, in seinem Haus in Rouen, um seinen Stil und die einzeln Wörter zu prüfen.
Paul Ingenday schreibt in seiner Kritik zur Neuübersetzung von Garcia Marquez Hundert Jahre Einsamkeit in der FAZ: …gehorcht die landläufige Übersetzungskritik äußerst schwammigen Kriterien und hat oft nicht einmal die nötige Sachkenntnis auf ihrer Seite,.Flüssig lesbar“ und.Kongenial“ – Übersetzer können ein Lied davon singen – sind auf diesem Gebiet die üblichen, vollständig inhaltsfreien Urteile.
Ich kann nicht genug Französisch (eigentlich kann ich gar kein Französisch) um die Übersetzung als solche beurteilen zu können, aber ich bin mir sicher, mit der neuen Übersetzung von Elisabeth Edl kann man sich getrost ans Fenster stellen und schreien.
P.S.
Ja, ich sammle diese Hanser Klassiker! Nicht das ich alle gelesen hätte, aber die Qualität der Bücher allein ist Grund genug sie besitzen zu wollen, denn da stimmt wirklich alles. Neben, den in der Presse setz hochgelobten neuen, zeitgemäßen und genauen Übersetzungen gönnt sich der Verlag eine hervorragende Ausstattung: Leinen, Fadenheftung, Lesebändchen, gute Typographie und nicht zuletzt einen Anhang mit Nachwort und Kommentar der kaum Wünsche offen läßt.