Wir waren dabei!
Ankommen in Saigon, der Flug war dank der wunderbaren Schlaftablette, die mir der Doktor verordnet hat, gar nicht so schlimm wie erwartet, das Hotelzimmer hat eine Klimaanlage UND ein Fenster und auch der Pool ist hübsch blau: allerdings vorne raus, lediglich ein paar Büsche trennen ihn von einer riesigen Durchzugsstrasse, auf der Tag und Nacht tausende Mopeds und ein paar Autos dahin rasen. Hier kann man schwimmen, muss man aber nicht. Wir sind übrigens – auch recht erwachsen – mit einem Sack voller Medikamente angereist: Malariaprophylaxe, Schmerzmittel, Antibiotika für alle Gelegenheiten, Parkemed, Aspirin, Allergietabletten, Trombose-Spritzen, Verbandszeug, Pflaster, Betaisadona und alles nur erdenkliche, das bei Magen-Darm helfen könnte. Und natürlich mit dem festen Vorsatz, vorsichtig zu sein, wir kriegen nichts! Zumal ich es dieses Jahr schon hatte – nämlich in der Silvesternacht, absurderweise bei Frau K. Auf ihrer Party, in ihrem Haus, in ihrem Bett, auf ihrem Klo und in ihre Rührschüssel.
Also, wir nicht. Kein Salat, keine geschälten Früchte, keine Eiswürfel. Wir sind ja keine Anfängerinnen. Und dann saßen wir am Pool, also eigentlich unter dem Pool, neben der mehrspurigen Strasse, tranken Cola und rauchten, denn rauchen ist in Saigon sicher gesünder, als die Abgase einzuatmen. Und plötzlich sagt Frau K.: „Lass uns eine Streetfood-Tour buchen!“ „Was?“„Eine Streetfood-Tour. Du zahlst eine Pauschale und fährst mit dem Moped durch die Stadt. An ausgewählten Stationen macht man Halt und isst etwas.“
„Was isst man?“
„Keine Ahnung.“
Tong und Tui, zwei Studenten, ein Mädchen und ein Bursch stehen pünktlich um 18 Uhr vor dem Hotel und überreichen uns freundlich lächelnd zwei Sturzhelme. So ist es nämlich nicht, in Vietnam herrscht Helmpflicht. Sonst kann man alles machen auf so einem Moped – bei Rot fahren, rechts und links überholen, auf dem Gehsteig fahren, wenn es auf der Strasse zu langsam geht, große Dinge, Babys, Haustiere und die Oma transportieren – aber ohne Helm fährt keiner. Also steigen wir aufs Moped, Frau K. bei Tong, ich bei Tui. Was für eine Perspektive! Plötzlich ist man nicht mehr die Gejagte, die versucht, eine Strasse zu überqueren, obwohl hunderte Mopeds auf dich zu rasen. Nein, man ist mittendrin und zwar so was von mittendrin. Selten zuvor hab ich mich so als Teil einer Bewegung gefühlt wie auf diesem alten Moped hinter Tui. Ich fürchte mich nicht, ich vertraue der zwanzigjährigen Studentin, die sichtlich Spass dabei hat, mit dem Moped durch die Nacht von Saigon zu düsen. Nur einmal hab ich ein bisschen Angst um Frau K., als ich sehe, dass ihr Fahrer äußerst knapp hinter einem her fährt, der eine vier Meter lange Eisenstange auf der Schulter mit dem Moped durch die Stadt transportiert. (Und ich denke dabei an den Strafzettel, den ich vor vielen Jahren bekommen habe, nur weil so ein Ikea-Regal ein bisschen zu weit aus der offenen Heckklappe ragte). Erste Station – eine Imbissbude am Straßenrand, betrieben von lauter Jungs, die aussehen, als seien sie zwölf. In einer Styroporschachtel ziemlich viel Zeug. Ich erkenne: Fleischstücke, Bohnen, Erdnüsse und geschreddertes Reispapier, das ich aber nur erkenne, weil daneben einer von den Zwölfjährigen steht und mit einem kleinen Handgerät das Zeug kleinmacht. Die zweite Portion wird gleich im Plastiksackerl serviert, Reisnudeln, Gemüse und Fleisch. Tui hält das Sackerl, alle essen mit den Stäbchen draus. Vor dem Imbiss – in Wien dürfte man aus so einer Bude nicht einmal abgepacktes Eis verkaufen, halten Trauben von Mopeds, Fußgänger – Geschäftsmänner, Frauen, Kinder – alle nehmen sich was mit, Tong erzählt ein wenig stolz, das sei der beste hier, ein Gourmet-Mac-Drive sozusagen. Und wieder fahren wir quer durch die Stadt, diesmal dürfen wir sitzen und ein Bier bestellen. Das Essen ist gut aber nicht überraschend, schließlich geht man auch in Wien inzwischen zum Vietnamesen. Wir wickeln unsere Rollen, in der Mitte steht ein großer Korb mit Blättern, die in die Rollen gebastelt werden. Nur wenig von dem Grünzeug lässt sich identifizieren. Alle tunken in die gleiche Sauce, alle befeuchten ihre Reisblätter in der gleichen Wasserschüssel, Hygiene ist eh völlig überbewertet.
Wir wechseln das Stadtviertel und biegen in eine kleine Seitenstraße. Also Strasse wäre ein zu großes Wort. Der Pfad wird immer enger, plötzlich fahren wir mit dem Moped quer durch einen Markt, es ist teilweise kaum einen Meter breit, doch die zwei fahren, als waren sie auf einer echten Strasse mit geregeltem Verkehr. Kleine Kinder, Hunde, alte Leute, andere Mopeds offene Feuerstellen und unzählige kleine Plastkstühle ziehen an uns vorbei und plötzlich endet die Strasse in einem riesigen Marktstand mit Muscheln und Krabben und Schnecken und kleinen undefinierbaren Fischen, jemand drückt uns einen ziemlich dreckigen Plastikteller in die Hand und wir sollen uns aussuchen, was immer es ist. Wir sitzen auf den obligatorischen Plastikkinderhockern, werden ein bisschen beäugt, wir sind die einzigen großen, weißen Frauen hier. Und dann kommen vier Eierbecher und die beiden grinsen uns an: „This is a vietnamese specialtity. You have to try it.“ Beide schlagen wir das große Ei auf und erstarren: Ein gekochter Dotter liegt in einem grauen Eiweiß und dazwischen lauter kleine Federn. Tui löffelt ihres begeistert: „You have to eat two of them. Then you will be lucky.“ Frau K. und ich probieren zwei winzige Löffel voll. Das muss reichen fürs Glück. Ich habe schreckliche Angst, dass da irgendwo ein Auge oder ein Schnabel ist und wende mich den Muscheln zu. Und eine Cola zum Festhalten hab ich auch. Die Nachspeise steht ein bisschen im Schatten des Entenembryos. Und das gecrashte Eis im Mango-Smoothie schreit uns die Magen-Darm-Geschichte förmlich entgegen. Im Hotel noch ein Schluck Whisky, den wir im Dutyfree am Flughafen vorsorglich gekauft haben und ein letzter Blick aus dem 10. Stock auf die nicht enden wollende Mopedflut. Wir waren dabei!