Preisfrage
Wenn Sie bei uns in der Buchhandlung vor dem Tisch mit den deutschsprachigen Neuerscheinungen stehen und mich fragen, ob ich davon etwas gelesen habe, dann kann ich mit bestem Gewissen sagen: „Alles!“
Sie wissen ja, wir lesen ständig und viel – zum einen, weil wir nichts lieber tun, zum anderen aber auch, damit wir die richtigen Bücher an die richtigen Menschen bringen. Doch dieses Jahr habe ich es fast ein wenig übertrieben und in vier Monaten um die sechzig Bücher gelesen. Freiwillig? Na ja, nicht ganz. Anfang des Jahres wurde ich gefragt, ob ich in die Jury des Deutschen Buchpreises gehen würde. Die Jury besteht aus sieben Mitgliedern, wird von einer Akademie bestimmt und wechselt jedes Jahr. Und natürlich sagt man da nicht nein. Ich war stolz und freute mich drauf, auch weil ich zunächst nicht wusste, was das bedeutet. Nämlich, dass du dich in einen Lesemarathon begibst, der über vier Monate andauert. Lesen in jeder freien Minute, nach dem Aufwachen, vor dem Einschlafen, manchmal sogar die halbe Nacht. Lesen bei Freunden im Garten, am Beifahrersitz im Auto, in der Küche beim Essen, auf dem Klo. Und zwischen dem ganzen Lesen arbeitet man oder geht spazieren, trifft sich mit Freunden und denkt dabei sie einzuordnen und zu bewerten, schreibt für die KollegInnen in der Jury ständig Bewertungen und liest die Bewertungen der anderen. Und dann realisiert man die schier unmögliche Aufgabe: Zweihundert Bücher müssen zunächst auf zwanzig (Longlist), dann auf sechs (Shortlist) und dann auf ein einziges reduziert werden. Was folgt, sind lange Sitzungen, zu denen jede/r der sieben JurorInnen mit einigen Favoriten im Gepäck anreist, und dann wird diskutiert, argumentiert und letztendlich abgestimmt. In diesem Jahr hatte ich wohl Glück: Die Jury war unglaublich freundschaftlich, selbst hart geführte Diskussionen waren immer wertschätzend, und nicht zuletzt hatten wir sehr viel Spaß miteinander. Doch irgendwann musst du dich entscheiden, denn wenn du zwanzig Bücher weiterkommen lässt, dann entscheidest du dich gegen hundertachtzig andere Bücher. Und das ist erst die Longlist! Diese zwanzig, die du ja schon so toll fandest, dass sie das Rennen gemacht haben, müssen noch mal drastisch reduziert werden und letztendlich muss man sich auf eines einigen.
Und selbst in der allerletzten Sitzung haben wir lange diskutiert, viele Argumente hin und her gewälzt, bis wir uns schließlich auf Saša Stanišić geeinigt haben. Er ist ein würdiger Preisträger, sein Roman ist ein wichtiges Buch, das die Geschichte seiner Herkunft erzählt und gleichzeitig ganz viel mit uns allen und dem Europa, in dem wir leben, zu tun hat.
Allen, die noch mehr über den Deutschen Buchpreis nach lesen möchten, empfehle ich: www.deutscher-buchpreis.de/ oder www.hartliebs.at/der-buchpreis-und-ich-eine-selbsterfahrung-als-jurorin/
Dieser Artikel ist aus unserem Magazin No 15