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Ein Wochenende mit Proust

Es gibt eine Liste der Bücher, die ich gelesen habe, eine der Bücher, die ich noch einmal lesen möchte und natürlich die lange, lange Liste der Bücher, die ich noch nicht gelesen habe, aber unbedingt lesen will. Auf letzterer steht ziemlich weit oben: Marcel Proust Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.  5300 Seiten – ich werde dieses Jahr fünfzig, also sollte ich vielleicht mal bald damit anfangen.
Proust begleitet mich seit Jahren und obwohl ich in Auf der  Suche nach der verlorenen Zeit noch nie über die ersten achtzig Seiten hinausgekommen bin, habe ich etliches über ihn gelesen; und über ihn gibt es inzwischen ganze Bibliotheken. Zuletzt waren es: Prousts Mantel, Die Bibliothek des Monsieur Proust, die Rowohlt Monographie über ihn… – ein weites Feld. Im Französischen wird der Titel von Prousts Opus Magnum meist mit Recherche abgekürzt, also werde ich es hier mit Suche tun.
Wie es der Zufall so will, sind mir am Freitag beim Auspacken – Wareneingang – gleich drei Bücher zum Thema in die Hände gefallen.
1.) Zschokke, Ein Sommer mit Proust
2.) Das Proust ABC – bei Reclam
3.) Marcel Proust im Spiegel seiner Korrespondenz
Fangen wir hinten an:
Zu einer Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Köln erschien schon vor Jahren (2009) dieser opulente Bildband über Marcel Proust als Briefschreiber – die französische Ausgabe seiner Korrespondenz umfasst 21 Bände – eine deutsche Auswahl von Briefen ist im letzten Jahr bei Suhrkamp in zwei Bänden erschienen. Dieser wundervolle Bildband, in einem mir völlig unbekannten Verlag (Snoeck) verlegt, wird gerade  verramscht und da ich ihn in Fußnoten und Nachworten schon mehrmals erwähnt gefunden habe, konnte ich nicht widerstehen…
Durchgehend zweisprachig, phantastische Abbildungen und herausgegeben von Rainer Speck, einem der Proust-Speziallisten  in Deutschland. Ein wahres Prachtstück!

Bei Reclam ist in den letzten Jahren eine von Bernd-Jürgen Fischer neu übersetzte, kommentierte Ausgabe der Suche erschienen und letzte Woche eben als Abschluss dazu ein Handbuch mit Kommentaren und Hinweisen zur Publikationsgeschichte, Rezeption, Übersetzungen, mit Personenverzeichnis und einer Konkordanz der bisherigen deutschen Ausgaben. (Die erste erschien von 1926 bis 1930 im Verlag der Schmiede  und bei Piper, kam aber aufgrund der Zeitläufte nur bis Band 5. Unter den Übersetzern dieser ersten Ausgabe finden sich Walter Benjamin und Franz Hessel. Benjamin hatte auch noch einen weiteren Band übersetzt, leider gilt das Manuskript als verschollen.)

 

Matthias Zschokke ist ein, bei uns bisher leider sehr unbekannter,  Autor, dabei stand schon 2006 einer seiner Romane auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis und er hat ein wirklich schönes Brief- e-Mail Buch, Lieber Nils, geschrieben. Sein neuestes Werk also, ein Sommer mit Proust, ein schlichter, schmaler, fadengehefteter Pappband hat folgenden Klappentext:
Was ich jetzt schon sagen kann: Sehr, sehr viele Wörter. Mir würden weniger oft besser gefallen.
Selbst Schriftsteller, beschreibt Zschokke wunderbar, wie es seit Jahren an ihm nagt, das große Werk der Weltliteratur  noch immer nicht gelesen zu haben, wie er sich in Diskussionen zurückgesetzt fühlt und deshalb beschließt – er ist inzwischen über sechzig – endlich diese Lücke in seiner Bildung zu schließen. Er beginnt also mit der Lektüre von Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Das Büchlein nun enthält, in Form von Briefen (oder Mails) seine Eindrücke und Erlebnisse bei der Lektüre. Empfänger sind ein Freund, eine Freundin, eine Übersetzerin, seine französische Verlegerin (Senior und Junior) und der Proustspezialist Luzius Keller. Während es zu Beginn noch um Übersetzungsfragen geht (er startet mit der alten Übersetzung von Eva Rechel-Mertens in der Taschenbuchausgabe der edition suhrkamp, bis ihm der Proustspezialist die neue, von ihm überarbeitete  und kommentierte Ausgabe zukommen lässt) wächst mit Fortschreiten der Lektüre seine Wut und Verzweiflung. Ab Band vier (Sodom und Gomorrah) scheint die Lektüre zur Qual zu werden

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. Zwar lobt er einige Stellen, ist von Zeit zur Zeit sogar begeistert von Stil und Komplexität, aber irgendwie ist ihm alles zu viel. Er leidet und allein das Argument, man könne das Werk nur beurteilen, wenn man es ganz bis zum Ende gelesen habe, hält ihn bei der Stange.
Sein abschließendes Urteil möchte ich nicht vorweg nehmen.
Ich hatte den Eindruck, Zschokke fühle sich wie ein Sommelier vor einer Wand mit 100 Flaschen erstklassigem Champagner, mit dem Anspruch nicht eher aufzuhören, bis er alle probiert hat, wobei probieren austrinken heißt. Hin und wieder spürt er die Klasse des Getränks am Gaumen, auf der Zunge – aber eigentlich ist ihm zunehmend nur noch elend zu Mute – einfach zum Kotzen.

Am Samstagabend nach Lektüre von Zschokke und dem Blättern in den o.g Büchern suchte ich mit müden Augen nach einem Film zur Erholung  und stolperte über die Schlöndorf Verfilmung von Eine Liebe von Swann – vor Monaten hatte ich mir die Gesamtausgabe seiner Filme gekauft, weil ich mit unserer Tochter noch einmal Homo Faber und die Blechtrommel ansehen wollte – mit Jeremy Irons, Alain Delon, Ornella Muti und Anne Bennent. Ein Kostümschinken, ohne, dass mich irgendetwas von proustscher Aura angeweht hätte. Und dann ins Bett: ich hatte den ersten Band der Suche mit aufs Land genommen, er lag auf meinem Nachtkasten – entschlossen habe ich mich dann für ein Buch weiter unten im Stapel: Tokapi von Eric Ambler

Lieferbare Ausgaben von Prousts Opus Magnum:

Frankfurter Ausgabe 7 Bde 100,80 €

   Frankfurter Ausgabe 3 Bde 51,30 €

Reclam Übesetzung Fischer 8 Bde 152,20

 

darüberhinaus die Einzelbände bei Suhrkamp im TB und die Reclam Ausgabe in Leinen