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Die Flucht in die Stadt und die Sehnsucht zurück

Eröffnungsrede des Festivals KlangRede vom 14.-16. Oktober 2022 in Weyer

Was war zuerst da: der Klang, der den Dichtern die Worte in den Sinn bringt, oder das Wort, das Komponisten inspiriert hat?

Das Zusammenspiel von Wort und Ton ist ein großes Thema, das Künstler*innen seit Jahrhunderten beschäftigt.

Die Berührungspunkte von Musik und Literatur, die möchte das Jeunesse Musik Literaturfestival hier in Weyer mir Ihnen gemeinsam erkunden.

Und mir fällt jetzt die Aufgabe zu, die Eröffnungsrede zu halten, und das Thema ist auch ein bisschen mein Thema. Nämlich:

„Die Flucht in die Stadt und die Sehnsucht zurück“

Was bedeutet dieser schöne Satz? Für Sie? Für mich? Für die Städter und Städterinnen, für die Bewohner und Bewohnerinnen am Land. Für die, die Dialekt sprechen und für jene, die lieber nach der Schrift reden. Für alle, die die Tradition hoch halten wollen und auch für die, denen es gar nicht genug Veränderungen geben kann.

Zuwi, dauni, ummi, auffi, viri, zruck, Grias di, Pfiat di

So haben wir mit den Kindern geübt, wenn wir übers Wochenende nach Oberösterreich gefahren sind, schließlich sollten sie keine Probleme damit haben, Oma und Opa zu verstehen.

Ich habe es nämlich verabsäumt, meine Kinder zweisprachig zu erziehen, dabei kenne ich die abenteuerlichsten mehrsprachigen Erziehungsformen:

japanisch – deutsch

englisch – deutsch

hebräisch-englisch-deutsch

finnisch-deutsch

flämisch-oberösterreichisch

Meine syrische Freundin ermahne ich regelmäßig, wenn sie mit ihrer Tochter (meinem Zieh-Patenkind) deutsch und nicht arabisch spricht.

Die Muttersprache ist die Sprache des Herzens, sage ich.

Nur in dieser, deiner Sprache bist du authentisch, sage ich.

Das Kind lernt nur richtig sprechen, wenn es seine Muttersprache, also die der Eltern richtig kann, sage ich.

Und Goethe sagt: „jede Provinz liebt ihren Dialekt: denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“

Meine Kinder können perfekt Deutsch, Wienerisch, Englisch, eines kann ein bisschen Spanisch, das andere Latein und Finnisch und ein bisschen Mari, das ist eine Sprache, die man in der Wolga-Ural Region spricht. Aber oberösterreichisch können sie beide nicht.

Keine Angst, das wird jetzt kein Vortrag über Sprachen und Lautverschiebungen in der österreichischen Mundart, ich will mit dieser Eröffnungsrede erzählen, warum Evelyn Schörkhuber und ich gerade hier in Weyer dieses Festival machen. Wenn ich in Wien davon erzähle, dann fragen die meisten: Weyer, wo ist das? Und wie schreibt man das?

Warum ein Festival am Land? In der Provinz?

Dabei dauert die schnellste Zugverbindung von Wien nach Weyer eine Stunde dreiundfünfzig Minuten, Evelyn und ich haben es im letzten Jahr sehr oft ausprobiert.

Warum ist die Provinz in den Köpfen der Stadtleute so weit weg und die Stadt umgekehrt auch?

Warum glauben die Leute in Stadt, dass es am Land fad ist, dass es keine Kultur, jenseits von Schuhplatteln oder Musikantenstadel gibt, dass jeder jeden beobachtet. Und da könnt ich jetzt noch endlos weitermachen.

Andererseits glauben die vom Land, dass in der Stadt alles anonym, dreckig und laut ist, dass bei uns lauter gefährliche Ausländer und Ausländerinnen wohnen und dass man nicht füreinander einsteht.

Das ist eine, seit Jahrhunderten andauernde Geschichte von Konkurrenz und Unverständnis, es würde hier den Rahmen sprengen, und nachdem es in unserem Festival um „Klang“ geht, will ich mich hier zunächst auf den Klang konzentrieren und lande somit wieder bei der Sprache:

Abgrenzung und Zuschreibungen durch Sprache und das ist ja auch das Problem mit dem Dialekt:

Wenn man in Wien Dialekt redet, gilt man als Landei, wenn man sich in den Bundesländern die gebildete, schönsprechende Wienerin raushängen lässt, dann ist man sofort die Überhebliche, die Bessere, die Großkopferte.

Für meine Generation war es ein No-Go Dialekt zu reden, wenn man in der Großstadt Karriere machen wollte. Verschämt hat man sich untereinander „erkannt“, hat kleine Grüppchen gebildet, und die Oberösterreich-Partys im Studentenheim waren äußerst beliebt. Aber außerhalb dieser Gruppen sprach man Hochdeutsch. Immer. Man sollte bloß nicht zuordnen können, dass man von einer Bauernfamilie aus dem hintersten Tal stammt.

Ich lebe seit 35 Jahren nicht mehr in der Provinz, bin Schriftstellerin und eine nicht ganz unbekannte Buchhändlerin. Ich hab ein Burgtheaterabo und gehe regelmäßig ins Konzerthaus oder in den Musikverein. Ich schreibe Bücher, die in deutschen Verlagen, verlegt werden, trete regelmäßig auf Bühnen und im Fernsehen auf und interviewe alle zwei Wochen für die Wiener Stadtzeitung Falter einen Autor oder eine Autorin.

Und dann steh ich hier und schaue aus dem Fenster, weiß, ich bin in Oberösterreich, also in Weyer, schaue auf die Leute im Publikum, die ich kenne: meine Verwandten aus Oberland, den Bürgermeister, die Buchhändlerin, Rudi und Christa, Franz und Resi und dann ist meine Mitorganisatorin nicht mehr die international erfolgreiche Gesangslehrerein, sondern d´Schörkuber Evelyn und ich bin d´Hartlieb Petra und es kommt mir ganz komisch vor, dass ich nicht oberösterreichischen Dialekt rede.

Aber macht euch keine Sorgen, ich kann beides, bin perfekt zweisprachig. Das hier ist also die Bühnenfassung von der Hartlieb Petra und dann geh ich da runter und red wieder so, wie die meisten hier.

Das mit dem Dialekt in der Stadt hat sich allerdings ziemlich verändert in den letzten Jahren und ich finde das großartig. Nun hab ich in der Buchhandlung junge Menschen, die völlig selbstbewusst „Griass di“ und „Pfiati“ und „voi super, des Buach“ sagen, dabei haben sie abgeschlossene Hochschulausbildungen und machen Karriere. Akademikereltern, die ihre Kinder selbstverständlich im Dialekt erziehen, obwohl sie seit über zehn Jahren in Wien wohnen.

Können Sie sich noch erinnern, als Alexander Van der Bellen 1997 zum Grünen-Chef gewählt wurde? Damals wusste niemand, dass er aus dem Kaunertal stammt, seinen Tiroler Dialekt hat er gut verborgen, denn Dialekt ist in Österreich immer ein Ausdruck für tiefste Provinz. Nicht im positiven Sinn.

Doch 2016, als Van der Bellen gegen Norbert Hofer in den Bundespräsidentenwahlkampf zog, war schnell klar: Um diese Wahl zu gewinnen, braucht er viel mehr Stimmen, als die der links-grünen Städter und Städterinnen, also besinnt er – oder sein kluger Wahlkampfmanager –sich auf seine Wurzeln und plötzlich steht auf den Plakaten ein Wort, das es bisher nicht im Wortschatz seiner Klientel gegeben hat: Heimat.

Van der Bellen trägt Trachtenjopperl und Lederhose, streichelt eine braune Kuh und geht mit seinem Hund durch idyllische Gebirgslandschaften. Das fanden damals nicht alle gut, ein kleiner Aufschrei ging durch die linkslinke Blase.

Aber ich, ich fand es super! Endlich! Man kommt vom Land, spricht Dialekt, trägt Tracht, liebt seine Heimat, durchaus auch in einem patriotischen Sinn, und ist trotzdem ein weltoffener, vorwärts blickender Mensch, der keine Angst hat vor Veränderungen, vor dem Fremden, vor Modernität.

Denn auch ich mag Volksmusik, Dirndlkleider, Bergsteigen und morgen geh ich zum Jodl-Kurs. Aber ich bin auch für die gleichgeschlechtliche Ehe, für das Recht auf Abtreibung, verwende immer auch die weibliche Form und sage nicht, „Frauen werden mitgemeint!“ und dafür, dass man in diesem Land Schutz bekommt, wenn man woanders vertrieben wird, bin ich auch

Und ich fahr auch gerne in die Provinz.

Einerseits natürlich in meine Heimatstadt Traun, die zwar nicht so schön ist, wie die Gegend hier, aber wo ich Freunde hab, die entweder gar nicht weg waren oder wieder zurückgezogen sind.

Liebe es, wenn ich beim Wandern mit „Griass di“ gegrüsst werde und spreche Dialekt.

Gehe mit dem Bürgermeister ein Bier trinken und veranstalte mit der gleichgesinnten Evelyn dieses Festival.

Dieses Festival würde in Wien so nicht funktionieren, denn da gibt es an jedem Wochenende gefühlte fünf andere Festivals, die meisten davon mäßig besucht. Davon abgesehen hätten wir gar keine Lust gehabt, in der Stadt so ein Festival zu machen, denn wir wollten genau hier sein, die Freunde und Freundinnen aus der Stadt nach Weyer locken und ihnen zeigen, wie schön es hier ist. Und am Nachmittag Wandern gehen oder zum Jodlkurs und am Abend ins Wirtshaus und zwar mit den auswärtigen Besuchern und Besucherinnen und jenen, die hier wohnen. Sie sollen zusammen am Tisch sitzen, über Musik und Literatur reden, von mir aus übers Wetter oder den Schweinsbraten, aber sie sollen merken, dass uns mehr verbindet als trennt.

Und so wie Evelyn und ich das angelegt haben, von Herzen und aus dem Bauch heraus, wäre es in der Stadt gar nicht möglich. Zu viel Bürokratie, zu viel Apparat, zu viel Tamtam und ich war in den letzten Wochen mehrmals erstaunt, wie hilfsbereit und unkompliziert alle hier sind.

Nichts wie weg wollte ich mit achtzehn, weg aus Oberösterreich, am liebsten nach New York, Paris, Berlin aber sicher nichts unter Wien. Mit zwei Koffer stand ich damals am Westbahnhof und mein Weg führte direkt in den neunten Bezirk, da gab es eine kleine Gasse, in der mehrere ziemlich heruntergekommene Wohnungen nebeneinander lagen und alle waren sie natürlich von OberösterreicherInnen besetzt. Da zog ich erst einmal ein.

Hab dann gleich alles ausgekostet: Uni-Streik, halblegale WGs und Schwangerschaft mit zwanzig ohne Mann. Meine Eltern fanden natürlich, dass die einzige Möglichkeit wäre, in die Heimat zurückzukommen, wieder einzuziehen im Kinderzimmer der elterlichen Wohnung. Was ich selbstverständlich abgelehnt habe. Meine Heimat such ich mir aus, und die ist Großstadt.

Ich bin ein Paradebeispiel für den Satz eines Politikers: „Wenn man die eigenen Kinder nach Wien zum Studieren schicke, kommen sie als Grüne zurück.“

Und „grün“ meine ich jetzt nicht unbedingt als politische Partei sondern als Geisteshaltung, so wie das die Generation meines Papas gemeint hat (der übrigens einmal gesagt hat, er weiß eh, dass ich „grün“ wähle, ich soll es nur niemandem in Traun sagen, dabei hab ich damals sogar KPÖ gewählt, dass hab ich mich ihm aber nicht zu sagen getraut.) Also eben „grün“ als Geisteshaltung, als Synonym für Liberalismus, Weltoffenheit, Protest gegen festgefahrene Zustände.

Ich wollte nie wieder:

oberösterreichisch reden

auf einen Berg gehen

ein Dirndl anziehen

am Mittagstisch mit Menschen sitzen, die man davon überzeugen will, nicht mehr die ÖVP oder die FPÖ zu wählen

während einer Messe in die Kirche gehen

zurück in die Provinz.

Wenn man bei Wikipedia das Stichwort Provinz aufruft, kommt man zu folgendem Eintrag:

In der Umgangssprache bezeichnet ‚Provinz‘ bzw. provinziell mit tendenziell abwertender Konnotation auch ein Gebiet, das arm an herausragenden kulturellen Angeboten ist oder in der allgemein kein bedeutendes gesellschaftliches Leben stattfindet. Dabei handelt es sich oft um Gebiete fernab der Hauptstadt, an der Peripherie eines Landes oder in einem vorwiegend ländlich geprägten Raum. Da aktuelle Moden oder Sitten oft zuerst in den Städten auftreten und diese im ländlichen Raum noch wenig bekannt sind, gilt dieser als eine rückständige, ‚provinzielle‘ Gegend.

Und damit komme ich zu einem Punkt, über den ich hier auch sprechen wollte – über Stadt und Land, Metropole und Provinz. Und darüber, was eigentlich für mich Heimat ist, denn im Allgemeinen ist das ja ein dehnbarer und auch sehr strapazierbarer Begriff.

Martin Walser hat einmal den Satz gesagt: Heimat, das ist sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit.“ Mit dem Wort „Zurückgebliebenheit“ meint Walser einen angeblichen Mangel an räumlicher Mobilität als auch eine angebliche geistige Beschränktheit der ihre Heimat Liebenden

Und natürlich ist der Begriff „Heimat“ höchst problematisch, keine Frage. Zuerst von den Nazis missbraucht, nach dem Krieg dann der Versuch, die Heimat mit schnulzigen Filmen und Romanen wieder schön zu machen.

Das ist rückständig und auch schließt für all jene aus, die nicht dazu gehören, die hier keine Heimat haben, und dennoch kann man es nicht abstreiten: Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Heimat. Nach einer Identifikation mit ihrer Region. Das muss man auch politisch beantworten, und zwar ohne Scheuklappen.

Das heißt, es gilt einen neuen Heimatbegriff zu finden, und zwar eine Heimat, ohne jemanden auszugrenzen: Minderheiten, Ausländer und Ausländerinnen, Homosexuelle, Unverheiratete usw.

Jetzt wird es aber Zeit ein Geheimnis zu lüften, warum gerade Weyer. Bei Evelyn ist das klar, jeder hier kennt die Familie Schörkhuber, aber Hartlieb?

Mein Papa war sehr immobil in den letzten Jahren. Ein schweres Nervenleiden zwang ihn quasi in den Rollstuhl. Mitten in der Coronazeit musste er ins Altersheim ziehen. Äußerst widerwillig natürlich und eines meiner Argumente war, dass ich ihn aufgrund der Barrierefreiheit im Heim abholen könne und wir dann Ausflüge machen würden, sobald es die Pandemiesituation zuließ. Seine Wunschziele waren:

Einmal noch in die Linzer Innenstadt.

Einmal noch den Traunstein sehen.

Einmal nach Oberland zu Anneliese und Gustl.

Das haben wir alles nicht mehr geschafft, einen Tag bevor er gestorben ist, hab ich es ihm noch versprochen.

Linzer Innenstadt ist leicht, war ich.

Traunstein war nicht ganz so leicht, hab ich aber gemacht, und zwar nicht nur angeschaut, sondern raufgegangen.

Oberland war ein Anruf bei Anneliese und Gustl und sofort war ich wieder Kind, hab mich erinnert an Gastfreundschaft und Unkompliziertheit, an die gute Laune meines Papas, wenn wir hier in der Gegend waren.

Und jetzt wird´s richtig persönlich. Ich hab das erste Mal Handerl gehalten am Schlepplift auf der Forsteralm, aber keine Angst, ich hab dicke Schihandschuhe angehabt.

Das erste Mal geschmust im Freibad von Gaflenz, ich glaube, er hieß Martin, damals hatten wir ein bisschen weniger an. Es ist trotzdem nichts Ernstes geworden.

Meine Schwester und mein Groß-Cousin Wolfgang haben mich im Wald von Oberland einmal an einen Baum gefesselt, ich war die Squaw von Winnetou. Und auf Maria, die heute auch da ist, mussten wir immer warten, wenn wir ins Freibad gefahren sind, die war die Kleine und konnte nicht so schnell radeln wie wir.

Viele glückliche Kindheitstage hab ich in Oberland verbracht: im Winter Schifahren oder Rodeln, im Sommer Wandern, Schwammerl suchen und wenn ich zusammenzähle, wie oft wir den Gaflenzbach aufgestaut haben, ging sich bestimmt schon ein kleines Wasserkraftwerk aus.

Die Legende besagt, dass mein Papa im Bahnwärterhäusel in Oberland auf die Welt gekommen ist und danach beim Pfaffenlehner in Gaflenz gewohnt hat. Sein Vater ist in Stalingrad ums Leben gekommen und eine Geschichte aus meiner Kindheit war immer: Als die Russen gekommen sind, ist die Oma mit dem kleinen Klaus geflohen, sie haben dann in der Gschnoat auf einem Hof gewohnt, ich weiß bis heute nicht, was das ist, wo das ist, wie man das richtig ausspricht und wie lange sie da gewohnt haben.

Dann hat meine Oma einen neuen Mann kennengelernt, und sie sind nach Steyr gezogen.

Viele von euch kennen das Weiße Kreuz, bei uns hieß das immer das „Hartlieb Kreuz“.

Mein Urgroßvater, David Hartlieb, ließ es 1943 errichten, in Gedenken an seine drei, im Krieg verstorbenen Söhne. David, Hermann und Rudi. Einer davon, Hermann Hartlieb, war der Vater meines Vaters, also mein Großvater.

Im Sommer 2021 war ich mit meiner Großcousine Maria wieder da oben, inzwischen muss man nicht mehr auf sie warten, im Gegenteil, sie musste auf mich warten.

Und bei meiner Groß-Groß-Tante Anneliese in der Küchenlade liegen die Gipfelbücher. Und ich hab es schwarz auf weiß: Das letzte Mal war ich mit 15 da oben. Genau vor 40 Jahren und zwar fast auf den Tag genau. Und natürlich steht Hartlieb Petra im Gipfelbuch, direkt unter meiner Schwester. Zur Petra Hartlieb bin ich erst drei Jahre später geworden, als ich nach der Matura endlich weggehen konnte aus Traun, wo ich aufgewachsen war.

Und in meinem Stadtleben, meinem Erwachsenenleben in Wien, ist Evelyn meine Nachbarin, schon seit fast zwanzig Jahren und seit fünfzehn nehmen wir uns vor, zusammen nach Weyer zu fahren. Meine Verwandten zu besuchen, Tante Anneliese und Onkel Gustl in Oberland, auf den Heiligenstein zu gehen, Haligenstoa und nach Weyer zu Evelyns Eltern. Mit dem Papa. Meinem Papa.

Aber wie das halt so ist im Leben, hat man immer etwas anderes zu tun, was Wichtigeres, etwas, das sich nicht aufschieben lässt, eine andere Urlaubsdestination, die viel interessanter ist und es ist ja auch so verdammt weit weg.

Und dann ist er einfach gestorben, der Papa, und es ist sich nicht mehr ausgegangen. Aber weil Evelyn ein Mensch ist, der weiß, was wirklich wichtig ist im Leben, und mich immer wieder gedrängt hat, haben wir endlich einen Termin gefunden und ich bin nach Weyer gefahren.

Zunächst war der Plan, mich bei den Schörkhubers einzuquartieren, aber dann war da kein Platz, und Evelyn erzählt mir strahlend: „Ich hab dir im Gästehaus ein Zimmer gebucht. Wirst sehen, die sind voi liab, die wern da voi taugn.

Hm, dachte ich, was müssen die voi liab sein, was müssen mir die taugn, das Zimmer soll schön sein, oder zumindest sauber.

Und dann bin ich da dem Haus aus dem Auto gestiegen, Rudi hat meine Tasche ins Zimmer getragen. Und hat auf die Uhr geschaut und gesagt: „Jetz is fünfe. In zwa stunden gemma essen.“ So ist das nämlich in Weyer. Da sind nicht einfach nur die Zimmer schön.

Auch deshalb ist Weyer inzwischen Heimat für mich, obwohl ich ja gar nicht hier im Ennstal aufgewachsen bin. Trotzdem fühle mich der Gegend hier fast mehr verbunden als dem Ort, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht hab. Das mag auch daran liegen, dass es hier schön ist und in Traun nicht so. Meine Trauner Freundin kommt erst morgen, deswegen trau ich mich das hier zu sagen. Dass hier meine, mehr oder weniger, letzten Verwandten leben, dass es ein Kreuz gibt, auf dem mein Familienname steht aber auch, dass dies ein herzlicher, offener Ort ist, an dem die Pensionswirte selbstverständlich mit einem Abendessen gehen oder dich fragen, ob du ins Sommerkino mitkommst. Wo die Mama der Freundin dir das Jausenpackerl für den Zug in die Hand drückt und der Papa mit dir wandern geht und dir jeden einzelnen Baum erklärt. In dem du dich mit dem Bürgermeister im Wirtshaus triffst, weil die Schörkhuber Evelyn so eine vage Idee hat, hier ein Kulturprogramm zu machen. Und der Bürgermeister auch wirklich sitzen bleibt und zuhört und sagt, Ok, moch ma!

Auch wir wollen mit diesem Festival eine Brücke schlagen, nein, gleich mehrere Brücken: eine Brücke zwischen jung und alt, eine Brücke zwischen Stadt und Land, eine Brücke zwischen Hochsprache und Dialekt.

„Die Flucht in die Stadt und die Sehnsucht zurück“ ist also nicht nur der Slogan unseres Festivals, sondern auch ein Teil meines Lebens und was kann die Sehnsucht besser ausdrücken als Musik.

Herzlich willkommen bei unserem ersten Jeunesse-Festival, das war die Rede jetzt kommt der Klang. Freuen Sie sich auf Mitra Kotte und Paul Gulda!

https://www.jeunesse.at/klangrede