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Das Buch zum Wochenende #275

Von der letztwöchigen BZW-Melancholie ist es nicht weit zur Trauer und die kommt dieser Tage nicht von ungefähr, jährte sich doch Wolfgang Herrndorfs Todestag gerade zum 10. Mal. Ich habe lange mit mir gerungen Tobias Rüthers` Buch überhaupt zur Hand zu nehmen und, nachdem ich es natürlich doch verschlungen habe, (weil kann man sich denn jemals selbst entkommen?) es zum BZW zu machen. Selbstverständlich nicht, weil ich an seiner Qualität gezweifelt habe, das Buch sei hiermit allen Leser*innen ans Herz gelegt, sondern aus Selbstschutz. Viel zu groß die Gefahr, hier allzu persönlich zu werden, klarer Fall von TMI. Aber jetzt hab ich mich eh schon verplappert und wenn ein BZW es schafft, einige gut verstaute Gefühlskaskaden aus meinen hintersten Seelenwinkel herauszuzerren, dann soll es eben so sein, Sie müssen ja nicht weiterlesen.
In der Zeit, als Wolfgang Herrndorf über seine letzten Lebensjahre bloggte, war ich gerade mit dem Sterben einer anderen Person beschäftigt, ich bekam nichts davon mit. Ich war eine sogenannte Angehörige, eine aus dem gegnerischen Team, eine, die einfach weiterleben würde. Eine, die nichts anderes tun konnte, als „da zu sein“, sprich hilflos dabei zuzusehen, wie die geliebte Person die einsamste aller Erfahrungen machte. Undenkbar für mich im DANACH jemals wieder ein Buch zu lesen. Sich jemals wieder auf eine Geschichte einzulassen. Wer war schon in der Lage etwas zu schreiben, das im Verhältnis zum Erlebten nicht lächerlich, ja geradezu grotesk erschien? Dann begegnete ich „Arbeit und Struktur“, dem Buch, das mich zum Lesen zurückgebracht hat. Dem Buch, das mich ein wenig gelehrt hat, diese Ungeheuerlichkeit eines Sterbeprozesses zu begreifen. Etwas zu begreifen, das ich zwar tagtäglich miterlebt hatte, aber nicht im Stande war mitzufühlen, auch, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, zu funktionieren, mich zusammenzureißen. Plötzlich hielt ich das in Händen, was ich am Schmerzlichen vermisste, in diesem DANACH, nämlich die Perspektive der Sterbenden einnehmen zu können. Mit ihr mitzufühlen. Durch Herrndorfs Tagebuch konnte ich endlich der Person nahe sein, die ich verloren hatte. Und das ist vielleicht der Kern meiner dieswöchigen BZW-Empfehlung. Aufzuzeigen, wozu Literatur im Stande ist. Zu zeigen, wozu Herrndorfs Literatur im Stande war und ist – und zu appellieren sie (wieder) zu entdecken.
Und – ganz abgesehen von dieser persönlichen Geschichte, ist Tobias Rüthers Buch natürlich auch ein 380 Seiten starker Proustmoment, der ein Stück deutscher Zeit-, Szene- und Literaturgeschichte wieder aufleben lässt. Ob wohl das Faxgerät in der Wundervollen noch funktioniert?…
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