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Her mit den Preisen!

April 2018

Eine Laudatio hält man für jemanden, den man verehrt und bewundert. Das ist selbstverständlich, niemand würde so eine Rede zusagen, wenn der Preisträger oder die Preisträgerin jemand ist, der oder die einem egal ist, oder dessen Werk man teilnahmslos gegenübersteht.

Jemanden verehren und bewundern, ist aber auch ganz schön gefährlich, es macht einen unkritisch und parteiisch, eine Laudatio könnte in eine peinliche Lobhudelei ausarten.

Das ist der Seiltanz, den ich Ihnen hier vorführen muss, ich hoffe, ich stürze nicht ab, denn ich leugne es nicht: Ich bewundere Doris Knecht. Ich bewundere sie als Person und ich bewundere ihr Werk und nachdem sie diesen Preis für ihr Werk bekommt, lassen Sie mich erst ein wenig übers Werk sprechen, wobei das Werk der Knecht natürlich untrennbar mit der Person Doris Knecht verbunden ist.

Als eifrige Kolumnenleserin – und ja, ich gestehe, ich mochte die Wir-haben-Kinder-und-leben-halb-am-Land-Kolumnen im Falter genauso gerne, wie die politischen im Kurier war ich natürlich äußerst gespannt als 2011 der erste Roman erschien.

Kann die Knecht auch Langstrecke?

Gruber geht. Eine Geschichte über den Mittdreissiger John Gruber, ein eitler, auf der Überholspur lebender Werbefuzzi, dessen einzige sympathische Eigenschaft ist, dass er heimlich Bob Dylan Fan ist. Dieser John Gruber erkrankt an Krebs, genauer gesagt, an einem malignen Lymphom, das ihn langsam aufzufressen scheint. Und dann passiert etwas mit ihm. Er unterzieht sich einer Chemotherapie, versucht die Globuli-Kur seiner Mutter abzuwehren und verliebt sich das erste Mal in seinem Leben wirklich ernsthaft.

Und da setzt die große Erzählkunst ein. Denn natürlich wird jetzt keine „Ich war erst ein Arschloch, bekomme Krebs und werde dann ein guter Mensch“-Geschichte erzählt. Das wäre unrealistisch und esoterisch und niemals würde ein kritischer Kopf wie Doris Knecht so etwas beschreiben: Krankheit als Chance und so, das verkaufen wir Buchhändlerinnen in einer anderen Abteilung, aber die meisten von uns gar nicht so gerne. Und doch macht Gruber eine Wandlung durch und wir begleiten ihn dabei, fiebern mit ihm, hassen ihn, finden ihn sexy und bedauernswert zugleich und beim Lesen der Geschichte steht eine unsichtbare Headline über jeder Seite: „Hier wird das Leben erzählt.“ Nichts anderes. Nichts weniger.

Denn das ist das, was sie kann, die Knecht: Genau hinschauen, wie mit einem Röntgenblick, den man ihr oft gar nicht zutraut, weil sie oft hektisch ist und ein wenig zerfahren und ihre Haare sowieso immer vor den Augen hängen. Aber sie sieht hin und saugt alles auf und dann wird alles in einer geheimen Schublade in ihrem Kopf verstaut und liegt ein wenig ab, bevor es in Sätze gegossen wird, die auf den ersten Blick hingerotzt wirken und in Wirklichkeit solche Kunstwerke sind, dass man sie oft mehrmals lesen muss.

Wie in ihrem zweiten Roman „Besser“. Eine scheinbar ganz normale Familie: Mann, Frau, Kinder, heimlicher Liebhaber, Freunde, eine Wohnung mitten in Bobotown Ottakring, keine finanziellen Sorgen. Die Geschichte aus der Perspektive der Antonia Pollak, deren Leben eigentlich ganz normal ist. Ein Leben zwischen Bugaboo-Kinderwagen, Grillpartys mit veganen Würstchen und der Sicherheit eines geregelten üppigen Einkommens des Ehemanns. Den man zwar nicht wirklich liebt, mit dem man sich aber ganz gut versteht.

Doch da ist dieser kleine Misston von der ersten Seite an, dieses Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist, ohne dass es dezidiert da steht.

Im Film würde man so einen Effekt mit Licht oder – noch einfacher – mit Musik erzeugen, aber in der Literatur? Da bist zu völlig zurückgeworfen auf die Sprache, nichts als die Sprache und es gibt keine Hilfsmittel, wie Kameraeinstellungen, Lichteffekte oder Sound.

Ich verkaufe ja Bücher, viel auf Empfehlungen und nicht sehr oft bekomme ich Rückmeldungen. Bei „Besser“ kamen auffällige viele Frauen mittleren Alters zurück in den Laden, alle wohlsituiert, mit Familie, Kindern und guten Jobs und raunten mir hinter vorgehaltener Hand zu: „Warum schreibt die Knecht über mich?“

Und dann verlässlich zwei Jahre danach, das nächste Buch. Die Hauptfigur eine Frau, die sich nicht nur scheinbar im falschen Leben bewegt, nein, sie ist rausgefallen aus dem, was wir das Leben nennen, hat alles verloren:

Designerklamottenladen im 1. Bezirk, Mann, Freunde, Society, Dachgeschosswohnung. Das einzige, was ihr geblieben ist, und auch nur, weil sie es rechtzeitig ihrer Tochter überschrieben hat, ist eine kleine Hütte im Wald, in der sie jetzt alleine lebt.

Und wir dürfen sie, durch die Knecht´sche Brille dabei beobachten, spüren die Kälte im Winter, den Hunger, die Einsamkeit aber auch das Archaische, das mit einem passiert, wenn man wildern muss oder Pilze suchen um zu überleben, wenn man Holz klauen muss, um nicht zu erfrieren, es geht um die elementaren Dinge.

Wir Buchhändler und BuchhändlerInnen lieben ja Bücher, deren Geschichte man einfach und kurz erzählen kann. Wir sind schließlich keine Feuilletonisten, die auf 4320 Zeichen ihre Gedanken zu einem Buch ausbreiten können, uns bleiben gerade mal 30 Sekunden, um die Aufmerksamkeit eines Kunden auf eine Geschichte zu lenken. Das ist das verblüffende an Wald: „Schickimicki Frau verliert alles, zieht in eine einsame Hütte und versucht zu überleben.“ That´s it.

Aber wie diese Geschichte erzählt wird, mit welchem Tiefgang die Knecht uns an der Gedankenwelt der Mariam teilhaben lässt, wie sehr uns das anrührt und zu Herzen geht, einfach, weil wir selbst alle in diese Situation kommen könnten, das ist die große Kunst der Knechtschen Sprache.

Weltsicht, Politik, Wirtschaftskrise, Psychologie, Sex, Abhängigkeit, das alles wird abgehandelt auf diesen 230 Seiten und eigentlich passiert nicht viel mehr, als dass wir gespannt dabei sind, ob Mariam es schaffen wird, Feuer zu machen, sich nicht nur von billigen Schnaps zu wärmen und die richtigen Waldfrüchte zur Marmelade zu verkochen.

Wenig Handlung und doch wird ein Fass aufgemacht, für das andere Autoren 500 Seiten brauchen würden, manche würden sich in Beschreibungen ergehen, mit Adjektiven um sich werfen, doch das ist alles nicht die Sache der Knecht: Kurz, knapp, manchmal erbarmungslos, drischt sie dir die Sätze um die Ohren.

Aber es kommt noch ärger. Das nächste Buch nennt sie gleich mal – nicht sehr bescheiden – „Alles über Beziehungen“.

Wer maßt sich schon an, alles über Beziehungen zu wissen? Eh klar, Doris Knecht, und sie weiß nicht nur alles über Beziehungen, sie kann es auch erzählen und zwar so, dass du beim Lesen das Gefühl hast, vom ersten Absatz bis zur letzten Seite kein einziges Mal Luft zu holen. Ein rasanter Wechsel zwischen Dialogen und inneren Monologen, Whatsapp-Messages und Bettgeflüster und obwohl gänzlich unsentimental, ja teilweise sehr hart erzählt, kommen große Gefühle auf.

Und sie begibt sich wieder auf ein Terrain, das für eine Schriftstellerin ganz schön gewagt ist. Der Protagonist ist nämlich keine Frau, sondern der 50jährige Viktor, der, obwohl er mit Magda eine zufriedene Beziehung führt, ein Leben der Promiskuität lebt. Das ist ein sehr vornehmer Ausdruck, den ich mir extra für diesen würdigen Rahmen überlegt habe, in Wirklichkeit sage ich immer, Viktor vögelt sich durch viele Betten und zwar mit einer Geschwindigkeit und Atemlosigkeit, dass es dir beim Lesen schwindelig wird.

Was lernen wir daraus (obwohl wir es vorher eh schon wussten): Männer dürfen alles: trinken, koksen, zahlreiche Geliebte haben, doch wenn eine Beziehung zerbricht, dann sind immer die Geliebten schuld. Die, Frau die sich eingelassen hat mit einem verheirateten Mann, einem Mann mit Familie. Die, die vielleicht mehr will, der es reicht, die keine Rücksicht nimmt. Das ist die Doppelzüngigkeit in unserer Gesellschaft, nicht mal in der Blase der Kulturschickeria, in der sich all diese aufgeklärten, feministischen Menschen, also auch Knechts Held Viktor, bewegen, ist es anders.

Meine Bewunderung gilt dem Mut, so eine Geschichte zu schreiben. Eine Story, die scheinbar belanglos und flapsig daher kommt und von vielen (meistens jenen, die nur den Klappentext gelesen haben) als nette, aber harmlose Unterhaltung abgetan wird.

Doris Knechts Bücher sind weder nett, noch sind sie Unterhaltung – auch wenn sie streckenweise sehr gut unterhalten – sind sie Literatur. Handfest, böse, ehrlich, unverblümt und manchmal sogar deftig – aber das ist es, was ich von Literatur erwarte. Eine handfeste, ehrliche Welthaltigkeit, eine literarische Beschreibung von all dem, was wir Leben nennen.

Lassen Sie mich noch etwas zum Preis an sich sagen: Der Preis der Wiener Wirtschaft ist ja nicht irgendein Preis, im Namen des Preises steckt ja bereits die Wirtschaft, die wir hier auch alle vertreten. Ich sehe ja viele BuchhändlerInnen im Publikum.

Ich finde es wichtig, dass es einen Preis der Wirtschaft gibt, denn wie wir alle wissen, ist Literatur ja auch ein Wirtschaftsfaktor. Im Vergleich zu, sagen wir der Automobilindustrie, zwar nur ein winzig kleiner, aber trotzdem leben wir alle davon und tun es auch alle freiwillig.

Doris Knechts Bücher sind ein Beitrag zur Wirtschaft, sie sind ein regelmäßig erscheinendes Konsumgut, mit einer treuen Stammkundschaft. Und die Knecht lässt auch keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass sie niemals ein Buch bei Amazon bestellen würde, nicht nur, weil sie sich nicht traut, weil ich ihr sonst meine Freundschaft entziehe, sondern aus Überzeugung. Viele von ihnen erinnern sich wahrscheinlich an zahlreiche Kolumnen im Kurier, in dem sie eine Lanze für den stationären Buchhandel bricht.

Es ist interessant und mutig, ja ich würde fast sagen, eine große Weitsicht der Jury, dass Frau Knecht den Preis der Wiener Wirtschaft bekommt, denn wir finden in ihrem Werk, ja eher eine Kritik an unserer, von Wachstum geprägten Wirtschaftspolitik.

– Gruber ist ein erfolgreicher Werbemann und wird krank

– Antonia Pollak lebt ein Leben in Luxus und Überfluss und hat doch ständig das Gefühl, dieses Leben nicht verdient zu haben

– Mariam aus „Wald“ wird brutal aus dem System katapultiert

– Viktor scheint sich für Wirtschaft nicht zu interessieren, er ist ein Kulturmensch, wie aus dem Bilderbuch.

Wir alle leben – so halbwegs zumindest – vom Wirtschaftsfaktor Buch und so ist es sowohl für die Autoren als auch für die Verlage und Buchhändler wichtig, dass es solchen Preise gibt.

Denn so ein Preis ist für SchrifstellerInnen nicht nur eine große Ehre, es bedeutet auch eine finanzielle Hilfe in einem, ja, nennen wir es ruhig beim Namen, prekären Leben. Selbst Bestsellerautorinnen, wie Doris Knecht, die mehrere tausend Bücher verlässlich verkaufen, deren Bücher verfilmt werden, können von ihrem Verdienst gerademal so leben. Ihre Miete bezahlen, die Ausbildung ihrer Kinder, hin und wieder in den Urlaub fahren und über so etwas wie Rente, denken wir nicht einmal nach. Deswegen sind solche Preise auch wichtig, sie finanzieren wieder ein paar Monate Leben, Leben, in denen man sich dem Schreiben widmen kann.

Danke an die Fachgruppe Buch, dass sie diesen Preis stiftet, danke an die Jury, die sie sich getraut hat, eine Autorin mit Ecken und Kanten auszuzeichnen. Man sieht ja an der Anzahl des Publikums, dass viele einverstanden sind mit Ihrer Wahl.

Liebe Doris, ich gratuliere dir von ganzem Herzen, du weißt eh, wie sehr mich diese Auszeichnung für dich freut. Danke, dass ich hier sein darf und danke, dass ich deine Freundin sein darf. Und: Schreib schneller, ich will endlich was lesen.